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Heldin wider Willen

Heldin wider Willen

Titel: Heldin wider Willen
Autoren: Elizabeth Moon
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Handeln.« Eine lange Pause.
    »Wenn Erwachsene ein Kind für Ereignisse verantwortlich
    machen, die das Kind nicht steuern konnte, dann kann das Kind die Idee einfach nicht abweisen … auch nicht die Schuldgefühle, die darauf folgen.«
    »Und … das war es, was sie getan haben«, sagte Esmay.
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    »Ja.«
    »Als ich es herausfand und dann wütend wurde …«
    »Eine vernünftige Reaktion.« Annie hatte das vorher schon gesagt; diesmal konnte Esmay es aufnehmen.
    »Ich bin immer noch wütend auf sie!«, stellte Esmay her—
    ausfordernd fest.
    »Natürlich«, sagte Annie.
    »Aber Sie sagten, ich würde darüber hinwegkommen.«
    »Im Laufe von Jahren, nicht Tagen. Geben Sie sich Zeit…
    Sie haben vieles, worauf Sie wütend sein können.«
    Nach dieser Erlaubnis wirkte es schon nicht mehr so
    schlimm. »Ich schätze, es gibt schlimmere Dinge …«
    »Wir reden hier nicht über die Probleme anderer Menschen; wir reden über Ihre. Sie wurden nicht beschützt, und als Sie verletzt worden waren, hat man Sie belogen. Als Folge davon haben Sie eine Reihe schlechter Jahre erlebt und viele normale Wachstumserfahrungen nicht gemacht.«
    »Ich hätte …«
    Annie lachte. »Esmay, ich kann Ihnen einen Aspekt Ihres
    kindlichen Selbstes garantieren, aus der Zeit, bevor das passiert war.«
    »Welchen?«
    »Sie hatten einen eisernen Willen. Das Universum darf sich glücklich schätzen, dass Ihre Familie Ihnen Verantwortungs-bewusstsein vermitteln konnte, denn wenn Sie sich für die Variante des ›bösen Mädchens‹ entschieden hätten, wären Sie eine Verbrecherin ohne Beispiel geworden.«
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    Darüber musste Esmay lachen. Sie willigte sogar ein, die neuroaktiven Medikamente zu nehmen, für die sie nach Annies Aussage jetzt bereit war.
     
    »Also, wie läuft es mit der Psychogeschichte?«, erkundigte sich Barin. Zum ersten Mal seit seiner Entlassung aus der
    Krankenstation fanden sie Gelegenheit, sich zu unterhalten. Sie waren zur Kletterwand gegangen, aber niemand benutzte sie.
    Auch gut; Esmay war ohnehin nicht nach Klettern zumute.
    Wenn sie die Wand betrachtete, sah sie die Außenseite des Schiffes vor sich, die gewaltigen Flächen, die sich immer ansatzweise über die Vertikale hinauszulehnen schienen.
    »Ich hasse sie«, antwortete Esmay. Sie hatte Barin nichts von dem Marsch über die Außenseite der Koskiusko während der Überlichtfahrt erzählt; sogar das jetzige Gesprächsthema war besser. Man durfte gar nicht an die unheimlichen Auswirkungen ungeschützter Überlichtfahrt denken. »Zu Anfang war es nicht schlimm, als ich einfach mit Annie geredet habe. Es hat richtig geholfen, denke ich. Aber dann hat sie darauf bestanden, dass ich mich auch an dieser Gruppe beteilige.«
    »Das ist mir auch zuwider.« Barin rümpfte die Nase. »Reine Zeitverschwendung … Manche dort schwafeln einfach nur in einem fort und kommen nie irgendwohin.«
    Esmay nickte. »Ich dachte, ich würde Angst bekommen und
    Schmerzliches erleben, aber die Hälfte der Zeit langweile ich mich nur.«
    »Sam sagt, deshalb würde eine Therapie auch zu besonderen Zeiten und an besonderen Stellen ablaufen … weil es wirklich langweilig ist, jemandem stundenlang dabei zuzuhören, wie er 621
    über sich selbst redet, außer man ist ausgebildet, darauf zu reagieren.«
    »Sam ist dein Psychoberater?«
    »Ja. Ich wünschte, du wärst in meiner Gruppe. Es fällt mir immer noch schwer, mit denen über alles zu reden; sie möchten immer ein großes Theater um die körperlichen Verletzungen machen, die gebrochenen Knochen und alles. Aber das war
    nicht das Schlimmste …« Seine Stimme verklang, aber sie
    spürte, dass er mit ihr reden wollte.
    »Was war denn das Schlimmste?«
    »Nicht der zu sein, der ich sein sollte«, sagte er leise und wandte den Blick ab. »Nicht fähig zu sein, irgendwas zu tun …
    Ich konnte keinem von ihnen auch nur einen Kratzer zufügen oder sie bremsen oder irgendwas …«
    Esmay nickte. »Mir fällt es auch schwer, mir selbst zu vergeben. Obwohl ich inzwischen weiß, dass es gar nicht möglich war, fühlt es sich immer noch an, als wäre meine Schwäche –
    meine geistige Schwäche – der Grund, dass ich nichts tun konnte.«
    »Meine Gruppe sagt mir immer wieder, dass ich gar nichts hätte unternehmen können, aber ich habe ein anderes Gefühl dabei. Sam meint, ich hätte es noch nicht von der richtigen Person gehört.«
    »Von deiner Familie?«, erkundigte sich Esmay mit großem
    Wagemut.
    »Er meint mich selbst. Er meint, dass
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