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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter
Autoren: Jonas Wolf
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weißes!
    Namakan eilte zurück an die Stelle, wo Waldur von der Feuerschlange angesprungen worden war. Die Schlange war verschwunden, ihre Beute hatte sie zurückgelassen: einen langgestreckten Haufen aus Asche, halbgeschmolzenem Metall, verbranntem Fleisch und von der Hitze geborstenen Knochen.
    Wo ist es? Da!
    Der Griff von Waldurs langer Klinge war angenehm warm, wie wenn die Waffe Namakan dazu auffordern wollte, sie zu führen.
    Namakan duckte sich unter dem einen Kettenstrang weg, der zum Trommler am Gerüst führte, und trat vor den am Boden hockenden König, der wahllos an den Ketten zog.
    Namakan legte alle Kraft in den weitausholenden Schlag. Ihr Untrennbaren, verlasst mich jetzt nicht!
    Weißes Skaldat traf auf schwarzes Skaldat. Die Ketten glühten hell auf, als das getroffene Glied auseinandersprang, glatt durchtrennt von der widerstreitenden Macht der zaubermächtigen Stoffe.
    Arvids Kinn fiel nach vorn auf die Brust. Die Kettenhälften rutschten ihm aus den Händen und glitten rasselnd zu Boden.
    Namakan wankte nach hinten. Ein schmerzhaftes Prickeln schoss seinen Arm bis zur Schulter hinauf. Er musste die rechte Hand gegen sein Knie schlagen, damit sich seine Finger vom Schwertgriff lösten. Wie aus weiter Ferne hörte er das Heulen und Toben des Hungers, doch es wurde mit jedem Schlag seines Herzens leiser und leiser. Dann verklang es ganz, und alles, was blieb, war das Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren.
    Er drehte sich zu Dalarr um, zögerlich und verschämt, wie er es früher immer getan hatte, wenn er auf ein Lob hoffte. Der Tegin hatte nur den Kopf gehoben, zu mehr fehlte ihm anscheinend die Kraft.
    Namakan ging zu ihm, mit langsamen, erschöpften Schritten, und nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass Arvid ihm folgte. Der König kroch auf allen vieren. Die Krone saß ihm schief auf dem Kopf, und seine Hände hinterließen rote Abdrücke auf dem grauen Stein.
    »Komm«, flüsterte Dalarr. »Komm … es ist Zeit …«
    Namakan kniete sich neben ihn. Die Haut seines Meisters war aschfahl, sein Blick flackerte unstet. Ein verschwommener Schleier behinderte mit einem Mal Namakans Sicht, und mit dem nächsten Wimpernschlag waren seine Wangen nass und heiß. »Zeit wofür?«
    »Deine Hand.« Dalarrs Rechte zuckte. »Gib mir deine Hand.«
    »Du bist es«, wimmerte Arvid hinter ihm und tastete nach seinem Umhang. »Fjarstor … du bist es …«
    Namakan achtete nicht auf den Greis. Er legte seine Hand in die des Tegin.
    Ehe er es noch wirklich bemerkte, schlossen sich Dalarrs Daumen und Zeigefinger wie die Backen einer Zange um den eingewachsenen Ring an seiner Hand.
    »Tschuwil«, raunte Dalarr und riss seinem Schüler den Ring vom Finger.
    Zeit verlor alle Bedeutung.
    Da war kein Schmerz in dieser Verwandlung. Es war kein Fluch, der von ihm genommen wurde. Es war eine Erfüllung, die ihm zuteil wurde. Die Freude eines Gauklers, der nach einer gelungenen Vorstellung sein Kostüm abwirft. Die Glückseligkeit eines Schmetterlings, der sich aus den Fäden seines Kokons befreit, um endlich das Kriechen und das Warten aufzugeben und zu fliegen. Die Dankbarkeit eines Kindes, dem man seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt und das nun glaubt, nie wieder auch nur das leiseste Verlangen nach neuen Dingen zu verspüren.
    Es war nicht einmal so sehr Namakans Leib, der eine Veränderung erfuhr. Ja, er büßte etwas von seinem Speck ein, und ja, er wuchs drei oder vier Handbreit in die Höhe, sodass sich Hemd und Hose straff spannten, um sich seiner neuen Statur anzupassen. Seine Stirn wölbte sich ein Stück mehr nach vorn, sein Kinn gewann an Kantigkeit, und seine Nase spross ein wenig.
    Aber das war nicht das, was wichtig war.
    Wichtig waren nur die Erkenntnisse und die Gewissheiten, die in ihm reiften – und die Lügen, die er durchschaute.
    Deshalb war Dalarr so zornig auf mich, als wir zum verwüsteten Gehöft kamen. Waldur hat nicht nur nach ihm gesucht. Er war mir auf der Spur.
    Deshalb haben die Spinnen meinen Ring so bestaunt. Sie fühlten den Zauber, der in ihn gebannt war.
    Deshalb haben Dalarr und Ammorna nachts am Feuer gestritten. Sie wollte, dass er mir sagt, wer ich bin.
    Deshalb haben Tschumilal und Nimarisawi mich so seltsam angesehen, als ich ihnen zum ersten Mal gegenüberstand. Die Mutter hat den Zauber gewirkt, und die Tochter hat ihn durchschaut.
    Deshalb hat mich Arvid für seinen Sohn gehalten. Ich bin sein Sohn, den Dalarr ihm geraubt hat.
    Ich bin nicht Namakan. Ich bin
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