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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung
Autoren: Sebastian Glubrecht
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mit mir als etwa dreijährigem Jungen auf dem Arm. Darauf trug mein Vater ein offenes Hemd und schaute meine Mutter und mich voller Liebe an. Auf der Rückseite stand in seiner Handschrift: »Ihr fehlt mir.«
    Der Gärtner hat mir erzählt, dass mein Vater das Stück mit den Gräbern, die aufgelöst werden sollten, gekauft und die renommierteste Gärtnerei der Stadt beauftragt hat, jeden Tag nach dem Grab meiner Mutter zu schauen.
    »Dabei könnte er das gut selbst machen, so oft, wie er hier ist«, meinte er. Eines Tages werde ich ihn bestimmt mal dort treffen. Wenn Gras über die Sache gewachsen ist.
    Von Jessica weiß ich, dass mein Vater schon wieder auf Projekten rund um die Welt reist. Tex ist es nicht gelungen, ihn in den Vorruhestand zu schicken. Denn der vermeintliche Nachfolger meines Vaters steht ja gerade vor mir – und den anderen heimlichen Mitgliedern des offiziell aufgelösten Yogastudios.
    »Noch zehn Minuten«, ruft Hari. Wir versammeln uns vor ihm und Adam. Erwartungsvolle Gesichter richten sich auf die beiden. Hari bimmelt mit der buddhistischen Glocke, mit der er mich einst verjagt hat, und stellt sie dann wieder auf der Ladentheke des Studios ab.
    »Es war ein ereignisreiches Jahr«, beginnt er. »Aber das wisst ihr ja alle.« Sina schaut mich an und lächelt etwas gequält. Wir versuchen seit unserem Abschied vor dem Yogastudio Freunde zu werden, aber das funktioniert nicht. Der Gedanke daran, mir anzuhören, dass sie vielleicht in irgendeinen anderen Mann verliebt ist oder wirklich nach Indien ziehen will, würde mir das Herz brechen. Freunde haben ja immer nur das Beste für den anderen im Sinn. Ich habe eher das Beste für uns beide im Sinn. Vorsichtig taste ich nach dem Briefumschlag in meiner Gesäßtasche.
    Ja, ich bin immer noch in Sina verliebt, obwohl sich das Gefühl nach drei Monaten erledigt haben sollte. War zumindest bisher immer so. Und die Wissenschaftler in den Frauenzeitschriften, die im Yogastudio auf dem Klo liegen, behaupten das auch. Nur ich merke nichts davon.
    Hari läutet noch mal die Glocke. »Deshalb übergebe ich die diesjährige Neujahrsansprache zum ersten Mal an jemand anderen. Nicht nur, weil Adam viel besser vor vielen Leuten reden kann als ich, sondern vor allem, weil er bald mein neuer Chef ist.«
    Gemurmel kommt auf.
    »Hoffentlich macht er keine PowerPoint-Präsentation«, meint Zoe. Seit Errors Verletzung ist sie nicht mehr von seiner Seite gewichen. Auch jetzt steht sie neben meinem Freund, an ihrem Finger funkelt ein Verlobungsring mit einem ziemlich großen Diamanten. Mein guter Vorsatz für das neue Jahr ist, mir eine eigene Wohnung zu suchen, ohne Error, ohne meinen Vater, und den beiden etwas Zeit für sich zu gönnen.
    Instinktiv sehe ich zu Sina, die meinen Blick offenbar spürt, denn sie schaut genau in dem Moment zu mir herüber. Wir müssen beide lächeln. Zum ersten Mal aber ist keine Traurigkeit mehr in dem Blick, mit dem sie mich ansieht.
    Jetzt bedankt sich Adam bei Hari und verneigt sich mit gefalteten Händen. In seinem offenen weiten Leinenhemd und seiner Stoffhose sieht er aus wie ein moderner Jesus. Oder wie der allererste Adam, der von Eva. Er scheint nicht nur auf dem Weg der Besserung, sondern schon auf dem Weg der Erleuchtung.
    Hari tritt zur Seite, Adam geht einen Schritt nach vorn. Er lächelt. Das macht er seit einem Monat fast ununterbrochen. Es ist ein freundliches, offenes Lächeln, das gut zu ihm passt.
    »Ich bin nicht euer Chef, weil ich nicht mehr an Hierarchien glaube«, sagt er. Das Gemurmel legt sich ein wenig. Adam greift hinter die Theke und holt eine Klarsichthülle hervor, in der einige Blätter Papier stecken.
    »Aber wahr ist, dass ich laut diesem Papier der neue Eigentümer dieses Yogastudios bin.«
    Jetzt wird das Gemurmel richtig laut. Auch ich kann es nicht glauben und schaue zu Sina herüber. Die zwinkert mir zu. Vorsichtig bahnt sie sich einen Weg durch die Menge und stellt sich ganz nah neben mich.
    »Hör zu«, sagt sie und schaut wieder nach vorn. Adam erzählt, dass er Hari sein Leben verdanke. Nicht nur, weil der ihn aus seinem Burn-out zurück in die Realität geholt habe, sondern weil er ihm auch gezeigt habe, dass es nicht immer darum geht, über seine Grenzen hinauszupreschen.
    »Erst einmal muss man seine Grenzen überhaupt finden.«
    Als es ihm wieder etwas besser ging, hat Adam als Erstes Khamroff angerufen und ihm angeboten, Hari-Yoga aus der Konkursmasse herauszukaufen. »Unter Russen«
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