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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Stimme.
    »Wahrscheinlich braucht er eine intensive Einzelbetreuung. Das wird einiges kosten.« Ich bleibe stehen.
    »Alles klar, kein Problem«, lüge ich, drehe mich aber dann doch um, weil ich ihm die Wahrheit über meine Finanzen erklären will. Ich verdiene schon ein bisschen Geld, spare aber für etwas anderes. Nein, nicht für die Schulden bei meinem Vater.
    Aber ich bringe kein Wort heraus, denn neben Hari steht jetzt Sina. Sie schaut mich traurig an.
    »War das alles?«, fragt sie. Ich zucke mit den Schultern.
    »Was soll ich sagen? Ich würde einen Kopfstand in der Achterbahn versuchen, wenn wir uns dafür wieder vertragen. Ohne Hilfestellung. Mit Jessica ist nichts gelaufen, auch wenn ich sie eine Weile ganz schön scharf fand.« Ein Schatten huscht über Sinas Gesicht, und sie macht Anstalten, die Tür zu schließen. Ich springe schnell vor.
    »Aber dann kamst du und das Yoga, und ich habe gemerkt, dass . . .«
    »Ja, ja Romeo«, unterbricht mich Hari. »Wir behalten den Berater erst mal hier. Im Moment ist nicht so viel los, wie du vielleicht weißt.« Dann legt er mir die Hand auf die Schulter.
    »Manchmal hilft man sich selbst am meisten, wenn man anderen hilft.« Ich lasse die Worte kurz sacken.
    »Wer hat das gesagt?«
    »Ich«, sagt Hari. »Zu dir.«
    Er nickt mir zu und verschwindet im Yoga-Studio. Sina macht keine Anstalten, ihm zu folgen.
    »Es ist so viel passiert . . .«, sagt sie und sieht mich traurig an. »Dein Vater, deine Lügen, Jessica, der Verkauf des Studios. Auch wenn es nicht deine Schuld ist, ich kann das gerade nicht trennen. Gib mir etwas Zeit.« Sie fröstelt in ihren dünnen Yogasachen. Ich würde ihr gern meine Jacke geben, leider habe ich keine an. Also ziehe ich meinen Pullover aus und reiche ihn ihr.
    Sie muss lächeln.
    »Jetzt übertreib es mal nicht mit der Nächstenliebe«, sagt sie. »Es ist Ende November, du wirst dich erkälten.«
    »Geht schon«, sage ich. »Mir ist immer recht warm, wenn du in der Nähe bist.« Jetzt rede ich schon genauso wirr daher wie Error damals.
    »Was machst du denn jetzt so?«, fragt Sina.
    »Ich habe einen neuen Job«, sage ich schlotternd. »Flexible Arbeitszeiten, und man trifft eine Menge interessante Leute.« Sie nickt, auch wenn sie in Gedanken ganz woanders zu sein scheint.
    »Und du?«, frage ich. Sina erzählt, dass sie die Zeit nutzt, um die Hilfsmittel auf Vordermann zu bringen. Die Decken zu waschen, die Kissen zu flicken, die zerschlissenen Gurte auszusortieren und die Deckenseile neu zu knoten.
    »Klingt gut«, lüge ich. Sie nickt, ihr Mund ist schmal.
    »Na, dann viel Spaß«, wünscht sie mit matter Stimme.
    »Ja, dir auch viel Spaß«, entgegne ich leise.

Out of the box
    In einer Viertelstunde beginnt das neue Jahr, und ich würde das vergangene lieber vergessen, als es Revue passieren zu lassen. Bis auf den Dezember vielleicht. Seitdem ist Adam nämlich wieder auf den Beinen. Er macht täglich Yoga, Pranayama und hat angefangen, die alten Werke der Yogis zu lesen: Die Bhagavad Gita , Licht auf Yoga von B. K. S. Iyengar und die bunt glänzenden Sachbücher von Schauspielerinnen, wohlhabenden Ehefrauen und Ex-Models. Oder, um noch ein letztes Mal in die Beratermetaphernkiste zu greifen: Adam hat beim client gescored und neuen Drive nach oben bekommen, die Forecasts sehen gut aus. Unternehmensberater werden offenbar in allen Dingen schnell Experten, auch in der Entschleunigung.
    Adam hat sich krankschreiben lassen und seinen Partnervertrag bei Caesar & Horn nicht unterzeichnet. Er hat eine neue Vaterfigur gefunden. Oder sollte ich besser sagen: einen Yogi? Hari und er hocken jeden Tag zusammen, wie Yin und Yang.
    Neulich habe ich Adam im Ashram leise auf Russisch telefonieren hören und mich gefragt, ob er schon wieder etwas ausheckt. Doch das würde eigentlich nicht zu dem neuen Adam passen.
    Ich dagegen hänge in der Luft und verbringe die meiste Zeit mit Taxifahren. Muss schließlich Geld verdienen. Neulich hatte ich mal wieder eine Fahrt zum Kastanienfriedhof, ein Mann in meinem Alter. Natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt, um nach dem Grab meiner Mutter zu sehen.
    Aber schon wieder hätte ich es fast nicht wiedererkannt: Statt dem alten Grabstein stand pötzlich dort ein neuer großer Naturstein mitten in einem wiesenähnlichen Garten. Zwischen den Blumen hatte jemand kleine emaillierte Metalltäfelchen mit den Gemälden meiner Mutter drapiert. Unter einer frischen Rose lag ein Foto von meinen Eltern
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