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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat
Autoren: Will Berthold
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Schatten stellt«, sabberte ich.
    »Gratuliere.«
    »Madame Prenelle«, ergänzte ich.
    »Was?« fragte Bongo. »Die Frau dieses Widerlings? Toll, Stefan. Mensch, wenn du die schaffst!« schrie er begeistert. »Mann, setz dem Laffen Hörner auf – was meinst du, wie die ihm stehen«, redete er sich in Rage und grinste. »Vermutlich sowieso das Einzige, was ihm noch steht.«
    Wir sprachen deutsch und ziemlich laut; um uns herum saßen Müßiggänger des Tages, Rentner, Witwen, Invaliden, es störte sie nicht. Wir luden sie zu einem Aperitif ein, und sie nahmen ihn dankend an. Der Friede machte sich allmählich bemerkbar. Wir waren keine Horrortypen mehr für sie und vielleicht nicht einmal mehr Boches. Es gab wieder engere Bande, ohne daß man dafür Haare lassen mußte. Frühere französische Kriegsgefangene reisten nach Deutschland und heirateten die Töchter oder Witwen ihrer Patrons, und in umgekehrter Richtung würde es bald genau so sein.
    Aber es hatte sich nicht nur das menschliche Verhältnis geändert, sondern auch die politische Konstellation: US-Präsident Harry S. Truman war dabei, Irrtümer und Fehler seines Vorgängers auszubügeln. Roosevelts ›lieber Uncle Joe‹ hatte die US-Hilfsmilliarden genutzt, um Gewaltpolitik à la Hitler zu betreiben.
    Pierre servierte die Châteaux gleich selbst, ein Franzose, stolz wie ein Spanier. Er hatte jeden Grund dazu, sie waren so delikat, wie sie Kalle beschrieben hatte. Mein Blick fiel auf die ›Stars and Stripes‹. Ich stellte dabei fest, daß das Erscheinungsdatum der US-Soldatenzeitung der 13. April 1946 war.
    Heute, genau vor einem Jahr, hatten amerikanische Panzer Mainbach eingenommen.
    Bongo fegte die Zeitung vom Tisch. »Banause!« schimpfte er; aber das Datum hatte sich mir auf den Magen geschlagen.
    An Mainbach dachte ich wenig. Meine Heimatstadt lag mir ferne, vielleicht weil ich Angst hatte, ihr wiederzubegegnen. Dafür gab es massive Gründe. Gewiß, ich mochte Frankreich, ich steigerte mich fast gewaltsam in diese Zuneigung hinein – es war ein Versuch, der Zukunft auszuweichen.
    Es ging mir hier gut in Paris – aber ging es mir wirklich gut?
    Meine erste Begegnung mit Frankreich hatte vor gut zehn Jahren im Latein-Unterricht mit dem ›Gallischen Krieg‹ des Gaius Julius Caesar stattgefunden; sie war verhältnismäßig reibungslos verlaufen. Die nächste verlief brisanter: Unsere Division wurde als Feuerwehr in die Invasionsschlacht geworfen. Rückzug. Zusammenbruch. Neue Bereitstellung, schon ziemlich nah an der deutschen Grenze.
    Als sich Hitlers wahnwitzige Weihnachtsoffensive totgelaufen hatte, brachte mir der Krieg als letzte Weisheit bei, daß ein »Tiger« auch mit leergefahrenem Tank noch lichterloh brennen kann.
    Wie ich aus dem brennenden Kampfwagen herausgekommen bin, weiß ich nicht.
    Ich hob die Hände und schrie blind: »I surrender – surrender – surrender!«
    »Okay, boy«, rief ein schlaksiger US-Sergeant, »go ahead – the war is over for you.«
    Erst als sich die Rauchwolken verzogen hatten, war ich sicher, daß ich noch sehen konnte. Ein letztes Mal hatte mich ein Phänomen gerettet, das meine Freunde und Kumpels einst das ›typische Stefan-Hartwig-Schwein‹ genannt hatten.
    Meine Mutter hatte ein anderes Wort für diese Glückssträhne in der Not: Sie glaubte, Kunigunda, die Stadtheilige von Mainbach, schütze mich mit ihrem Netz. Sie hatte es so oft gesagt, daß ich jeweils während meines Heimaturlaubs auf die Untere Brücke über Klein-Venedig gegangen war – hier stand ihre Statue –, um das unergründliche Lächeln der Kunigunda auf mich einwirken zu lassen. Sicher hatte meine Mutter der Schutzpatronin schon viele Kerzen geopfert, und ich hoffte für sie wie mich, daß sie nicht vergeblich angezündet worden seien.
    Mainbach ist eine großartige Stadt, ein Treffpunkt von Romantik, Gotik, Renaissance und Barock, auf sieben Hügeln gelegen, weshalb man die Stadt das deutsche Rom nennt. Mainbach ist auch ein frommer Ort. Immer gewesen, immer geblieben. Und meine Mutter war eine fromme Frau. Immer gewesen, immer geblieben. Ich war ihr einziger Sohn und dadurch ihre größte Sorge.
    Aus Angst versuchte sie, mir Mut zu machen. Dabei hatte sie reichlich naive Vorstellungen vom Geschehen an der Front. »Geh bitte nicht so nah an den Feind heran«, bat sie. »Du mußt ja nicht immer und überall der erste sein, Stefan.«
    »Schon gut, Mutter –«
    »Versprichst du mir das?«
    »Ja«, erwiderte ich, im Versuch,
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