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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat
Autoren: Will Berthold
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ebenfalls klauten, aber weit weniger. PoWs hatten zudem den Vorteil, daß sie nichts kosteten; sie waren Arbeiter zum Nulltarif, lebende Reparationen.
    Bongo und ich machten gleichzeitig Karriere: er, weil er sich niemals erwischen ließ, und ich, weil ich mich mit Mundraub begnügte.
    Bongo saß, umgeben von Zivilisten, am Stammtisch und redete in einer Sprache auf sie ein, die ich ›Bongorando‹ nannte und die tatsächlich verstanden wurde. Er hatte längst seinen Frieden mit den Franzosen gemacht und diese mit ihm; sie tranken und lachten miteinander, und ›Boun-gooh‹ beriet sie, wenn sie ihre Scheine für die Staatslotterie ›Les gueules cassées‹ ausfüllten; ›Die zerschlagenen Fressen‹ hieß sie, weil ihr Erlös den Kriegsinvaliden zugute kam. Bongo und die Zecher waren Kumpels, wenn nicht sogar schon Freunde. Es ist eben ein Unterschied, ob sich Menschen in einer Kneipe gegenübersitzen oder im Schützengraben gegenüberliegen.
    »Da bist du ja endlich«, begrüßte er mich. »Höchste Zeit. Pierre macht uns ein Château, das uns auf der Zunge zerfällt.« Er mußte es wissen; er war der Hauslieferant des Bistros. Er beschaffte alles. Er stand in der Gunst seines Chefs, Captain Wannamaker; sie waren ein Herz und eine Seele, wie Herr und Hund. Der Offizier war ein Tierfreund, und sein Vierbeiner apportierte willig; Vierbeiner war für Bongo zu wenig, weit eher organisierte er wie ein Tausendfüßler oder, besser, wie ein Tausendsassa.
    Er wies auf die ›Stars and Stripes‹. »Stell dir vor«, sagte er übergangslos, »da bringt diese Madame Richard im französischen Parlament den idiotischen Gesetzesantrag ein, die Freudenhäuser abzuschaffen, und in Rom verlangt eine italienische Ische genau dasselbe.«
    »Wer ist Madame Richard?« unterbrach ich ihn.
    »Eine kommunistische Abgeordnete – natürlich eine ExProstituierte«, erwiderte er.
    Ich hörte nicht richtig zu, aber die umsitzenden Franzosen nickten mit den Köpfen, als hätten sie ihn verstanden.
    »Komische Zeiten«, fuhr der Bulle fort. »Früher wurden alternde Nutten fromm, heute werden sie rot.« Die Schadenfreude lief ihm wie Sirup über das Gesicht. »Da werden sich die Kameraden auf der anderen Seite künftig die Gießkanne noch öfter verbiegen und dann –«
    »Was ereiferst du dich denn so?« unterbrach ich ihn. »Du machst doch einen ganz hübschen Bettenumsatz.«
    »Darauf kannst du dich verlassen«, erwiderte Bongo nicht ohne Stolz. »Und keine Käuflichen.«
    Er hatte tatsächlich einen Schlag bei Frauen. Es war, als würden sie sich ihm an den Hals werfen, um ihn für seine Ungeschlachtheit zu entschädigen; er hatte Charme und schaffte einfach alles und lebte, stets guter Dinge, in den Tag hinein, was ich für stumpfsinnig hielt. Wir hatten beide die gleiche Zeit, diese tödliche Krankheit, überstanden, aber ich war froh, wenn ich neben vielen Ähnlichkeiten Unterschiede zwischen Bongo und mir feststellen konnte, bis ich darauf kam, daß ich ihn heimlich beneidete.
    Kalle, der Mann mit den Beziehungen, auch den dubiosen, vorurteilslos gegenüber jedermann, schaffte einfach alles – bis auf das eine: Sein Elternhaus in Falkensee bei Berlin konnte er nicht 300 Meter weiter in Richtung Spandau verrücken, um Westberliner zu werden. Seine Heimat lag in der Ostzone, und dorthin wurden von den Amerikanern vorläufig keine PoWs entlassen.
    »Dieser Tag macht mich ganz kribbelig, Stefan«, behauptete er.
    »Das bist du doch immer«, erwiderte ich lachend.
    »Aber nicht so«, versetzte Bongo. »Nicht so wie heute. Und dabei hab' ich gestern zwei Französinnen aufgerissen. Eine blond, die andere schwarz. Beide hübsch.« Er lächelte wie die gute Fee persönlich. »Du hast die erste Wahl.«
    »Danke«, erwiderte ich.
    »Was ist bloß mit dir los?« fauchte er mich an. »Du warst doch früher kein Kostverächter.«
    »Vielleicht hab' ich mich überfressen«, wich ich ihm aus.
    Er schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser steigt. »Du kommst also nicht mit?« fragte er fast drohend.
    »Nein, Kalle«, versetzte ich.
    »Dann pack' ich sie eben beide.«
    »Das sieht dir ähnlich«, brummelte ich, und der Beinahe-Berliner wertete es als Schmeichelei.
    »Im übrigen«, ermannte ich mich, »wähle ich mir meine Eroberungen selber aus.«
    »Such, such, such«, entgegnete Bongo feixend.
    Irgendwie setzte bei mir dieser verdammte maskuline Automatismus ein. »Heute morgen hab' ich eine Frau kennengelernt, die alle anderen in den
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