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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat
Autoren: Will Berthold
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Feststellung beschränken und einem Angehörigen der Familie Hartwig als berufenerem Sprecher die Würdigung des Verstorbenen überlassen.«
    Die Zuhörer umstanden mich in einem Oval: neben mir Sibylle, flankiert von Kalle Klett und Claus Benz, dem Freund und Retter Dr. Fabers; Dr. Robert Klimm, der dritte der »Drei Musketiere«, war noch in russischer Kriegsgefangenschaft. Ich bedankte mich für die Ehrung meines Onkels. Es fiel mir nicht schwer, und ich war peinlich darauf bedacht, die Etikette einzuhalten und mich bei der Aufzählung der Namen, Ränge und Titel nicht zu vertun.
    »Ich betrachte es als ein Mitverdienst des Verstorbenen, sprich Ermordeten, daß in einer freien Wahl in dieser Stadt die Hitler-Anhänger nie mehr als ein Drittel der Stimmen errungen haben. Viele Mainbacher haben Frau Marie-Luise Hartwig vor und nach der Hinrichtung ihres Mannes mit Wort und Tat beigestanden. Ich möchte mich bei jedem einzelnen von ihnen herzlich bedanken.«
    Meine Tante nickte mir zu; sie ahnte nicht, was nun kommen würde.
    »Alle Worte, die wir hier hörten, waren wichtig und richtig. Ich komme jedoch um die banale Feststellung nicht herum, daß sie weder die Leiden des Gequälten lindern noch den Opfertod Dr. Hartwigs rückgängig machen können. Daraus erwächst uns eine Verpflichtung: die Schuldigen zu suchen und zu stellen. Es geht hier nicht um Rache, sondern um Sühne. Die Frage nach der Gnade mag sich später stellen, aber erst nach der Ahndung eines Verbrechens.«
    Ein Ruck lief durch die Trauerversammlung: Zustimmung, Bestürzung, Scham, Angst und Empörung stießen hart aneinander. Ich war aus der Schiene berechtigter, doch auch ein wenig uniformer Kondolenzreden gesprungen. Halblaut übersetzte Peter Stone dem Gouverneur meine Worte.
    Der Colonel musterte mich gründlich, dann nickte er mir grimmig zu; ich fuhr fort: »Wir alle leiden unter den Folgen einer Zeit, in die jeder von uns mehr oder weniger verstrickt war. Wir müssen damit fertig werden. Dabei ergibt sich ein seltsames Phänomen: Schuldige beteuern ihre Unschuld, und Unschuldige schweigen beschämt. Erich Kästner, ein Dichter, den meine Generation erst jetzt lesen darf, hat dazu notiert: ›Die Unschuld grassiert wie die Pest.‹«
    Der Wasserkopf des Dr. Zapf wurde knallrot. Er stand im Hintergrund, und aus Furcht vor dem, was nun kommen würde, schob er sich weg; er nahm einen Staatsanwalt des Sondergerichts und Drexler, den Milchmann und SA-Sturmführer, gleich mit.
    Ich suchte Peters Augen; er signalisierte mir Zustimmung. Mein Blick ging zu Sibylle; ihr Gesicht hatte einen fast andächtigen Ausdruck. Kalle neben ihr stand breitschultrig wie ein Leibwächter in Positur, bereit, uns zu decken.
    »Nehmen Sie es mir übel«, fuhr ich fort, »wenn ich am Grabe meines Onkels versuche, zur Klärung beizutragen. Sind wir ihm nicht schuldig, zum Beispiel die beiden Denunziantinnen zu stellen, die ihn dem Volksgericht überantwortet haben? Oder den Reichsanwalt, der ihn schon in Mainbach und dann in Berlin gejagt hat? Vom ersten Tag des Dritten Reiches an hat die örtliche Polizei mit Hilfe der SD-Außenstelle eine erbarmungslose Treibjagd auf meinen Onkel veranstaltet, mit dem Ziel, ihn zu vernichten. Bei dieser Feststellung bin ich nicht auf Vermutungen angewiesen. Ich verfüge über die Akten des Volksgerichtshofs. Fünf Bände, in denen jeder verzeichnet ist, der sich an der Vernichtung eines Aufrechten beteiligt hat, als Spitzel, Hilfsorgan der Gestapo, Zuträger oder Scharfmacher. Vergeßlichkeit wäre tödlich, Rücksicht unangebracht. Wieweit wir uns durch unser Verdrängen bereits schuldig gemacht haben, ergibt sich zum Beispiel daraus, daß ein Polizeibeamter, der seinerzeit an der Verhaftung meines Onkels teilgenommen hat, es wagt, hier unter den Trauergästen zu sein.«
    Kriminalobersekretär Kobler lief davon, zuerst langsam, dann immer schneller.
    »Kann man das noch als Geschmacklosigkeit ansehen, so ist die Handlungsweise eines anderen, der nicht davor zurückschreckt, zu dieser Stunde an diesem Ort zu sein, noch weit verwerflicher und unentschuldbar. Ich spreche von einem Spitzel, der sich als Gesinnungsfreund in Exerzitienheimen und Bibelstunden an den Verfolgten herangemacht hat, um ihn auszuhorchen und der Gestapo ans Messer zu liefern.«
    Ich fixierte den praktischen Arzt Dr. Fibig so penetrant, daß sich ihm die Blicke der Anwesenden zuwandten. Er wurde blaß, seine Lippen zuckten stumm. Einen Moment sah es aus, als
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