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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat
Autoren: Will Berthold
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mir der Gedanke, daß den immer sanfter auftretenden Bogenschnitzer vielleicht Amors Pfeil gestreift haben könnte.
    »Wie gefällt dir eigentlich Dr. Herter?« fragte ihn der Captain.
    »Ich weiß nicht recht«, erwiderte Kalle zögernd.
    »Wieso?«
    »Geschmackssache«, erwiderte Bongo. »Der Mann ist so glatt und wendig, liebenswürdig und selbstbewusst. Ein eleganter Bonvivant.«
    »Und?«
    »Wenn ich nach sechs Jahren Haft aus einem KZ käme, wäre ich anders«, versetzte Kalle.
    »Seltsam«, erwiderte Tarzan. »Ich hab' am Anfang genauso gedacht, aber die Menschen sind nun einmal verschieden.«
    Wir genossen den Tag und die Stunde, das ausgezeichnete Essen, den herrlichen Wein, das zu dieser Zeit rare Glück, unter Menschen zu sein, die einander mochten und nichts voneinander wollten.
    Am nächsten Tag zog ich zu Tante Marie-Luise in die Dientzenhoferstraße um. Kalle nahm die Arbeit bei der »Bertrag« auf und verwandelte das Fabrikgelände in einen Schauplatz seiner Tüchtigkeit. Der Verkauf war kein Problem, aber wer produzieren wollte, mußte Rohmaterial haben, und das gab es nicht, zumindest nicht auf den üblichen Wegen. Man mußte organisieren und kompensieren, graue Kanäle erschließen und Beziehungen ausnutzen. Und das hieß: Bongo war in seinem Element. Dr. Herter ließ ihn gewähren, und Sibylle, die eigentlich schon bereit gewesen war, die »Bertrag« zu veräußern, und nur aus Rücksicht auf ihre Mutter die großväterliche Gründung weiterführte, faßte wieder Zutrauen und staunte, wie ihr Helfer im Handumdrehen die Produktion wieder ankurbelte und umstellte.
    Er holte Aufträge von der Besatzungsmacht herein und lieferte Ersatzteile für das aus einem Reparaturbetrieb entstehende Wolfsburg, aus dem Europas größte Automobilfirma werden sollte. »Das alles«, sagte er zu Sibylle, »ist nur eine Vorübung. Eines Tages kommt eine Währungsreform, und dann müssen wir bereitstehen, Exportaufträge zu ergattern und Devisen hereinzuholen.«
    »Hoffentlich lassen Sie mir noch etwas Arbeit übrig«, sagte sie.
    »Verlassen Sie sich drauf. Ich bin ja nur ein Praktiker. Und wenn die Wirtschaft wieder läuft, brauchen wir dringend eine diplomierte Volkswirtschaftlerin.«
    Im Juni platzte in Mainbach eine Bombe: Der tüchtige Dr. Herter wurde als Hochstapler und krimineller KZ-Häftling entlarvt. Mitgefangene, die ihn erpressen wollten, brachten seine Vergangenheit auf: Er war kein Jurist und kein Doktor, sondern ein zwölfmal vorbestrafter Verbrecher, spezialisiert auf Diebstahl, Unterschlagung und Urkundenfälschung.
    Mit grünem Winkel war er im KZ Kapo geworden, und jetzt gab es ein peinliches Erwachen, nicht nur für Herter, sondern auch für die Militärregierung und die Stadtverwaltung und vor allem für die »besseren Kreise«, die sich um ihn gerissen hatten.
    Nach Herters Sturz wurde Kalle Klett offiziell als Treuhänder eingesetzt, und es war nur eine Frage der Zeit, bis man die »Bertrag« aus der Property Control entließ. Sibylle und Bongo arbeiteten Hand in Hand, sie traten fast immer zusammen auf, auf dem Fabrikgelände ohnedies, doch bald auch in ihrer Freizeit, dann komplettiert durch Hänschen. Daß die beiden unzertrennlich waren, merkte allmählich jeder, aber ich stellte auch fest, daß mir Sibylle wie schuldbewusst aus dem Weg ging.
    Ich stellte sie. »Hör mal zu, Mädchen«, sagte ich. »Du und ich, wir wissen beide, daß es für Hans Faber keinen Ersatz geben kann.«
    Sie nickte.
    »– höchstens einen Kontrast«, fuhr ich fort. »Seit seinem Tod sind jetzt vier Jahre vergangen, und du bist eine junge, schöne Frau und hast trotz allem das Leben noch vor dir – und auch ein Recht auf Leben. Und du hast einen Sohn, für den ein männlicher Einfluß bei der Erziehung bestimmt nicht falsch wäre.«
    »Heißt das, daß du mich mit Kalle verkuppeln willst?« fragte sie.
    »Nein, Sibylle«, entgegnete ich. »Es heißt, daß du keinen Grund hättest, dich vor mir zu verstecken – wenn du Kalle möchtest.«
    Einen Moment wirkte Sibylle verstört; dann küßte sie mich. »Ich weiß nicht, was wird«, sagte sie, »aber es ist gut, daß es dich gibt.«
    »Ihr habt Zeit, viel Zeit«, antwortete ich.
    Ich war sicher, daß die beiden sie nutzen und daß der geschäftlichen Zweisamkeit die persönliche folgen würde.
    Tatsächlich gelang es einer Schwester meiner Tante Marie-Luise, die Urne mit der Asche im Rucksack schwarz über die grüne Grenze zu schaffen. Das Verhalten der Behörden
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