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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat
Autoren: Will Berthold
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wußte damals schon, daß ich es nicht hätte tun dürfen. Aber ich war Staatsbeamter, und die NSDAP war Staatspartei. Alle anderen Kollegen hatten schon Jahre früher daraus die Konsequenz ziehen müssen.«
    »Also Sie betrachten es als einen Fehltritt?« erwiderte der Vorsitzende, der die Prozedur abkürzen wollte.
    »Als eine Fehlentscheidung«, korrigierte ihn der Betroffene. »Ich muß auch noch sagen: Eine ganze Woche lang habe ich es vor meiner Familie verheimlicht, sohabe ich mich geschämt.«
    Es klang echt, selbst wenn man den Mann nicht persönlich gekannt hatte. Zeugen bestätigten, daß sich Breuers Tätigkeit als Blockwart wirklich nur auf das Einsammeln von Beiträgen beschränkt hatte und daß sie von diesem »Hoheitsträger« niemals in ein politisches Gespräch gezogen worden waren. Besonders entlastend aber wirkte der Persilschein meiner Tante Marie-Luise, was im Spruch dann ausdrücklich erwähnt wurde.
    Der Oberinspektor, natürlich aus dem Dienst entlassen, schrieb zur Zeit Adressen für eine karitative Gesellschaft, für 2 Pfennig je Umschlag. Einen Moment lang überlegte ich, wie viele Adressen er für eine Buße von 500 Reichsmark mit zwei Fingern auf der Schreibmaschine tippen mußte. Breuer nahm den Spruch, als Mitläufer eingestuft zu sein, sofort an und bedankte sich noch bei dem Vorsitzenden. Selbstvorwürfe über seine Nachgiebigkeit hatte er sich nicht erspart, aber jetzt war der Weg zur Wiedereinstellung in den Bahndienst frei geworden.
    Mit den Betroffenen litten ihre Familienangehörigen in zwangsläufiger Sippenhaftung. Das ›Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus‹ sollte Abhilfe schaffen und bot die Möglichkeit, die verschiedenen Schattierungen von Schuld und Verstrickung individuell zu bewerten. Aber Freiwilligkeit und Zwang waren zu einem dicken Gestrüpp verfilzt. Man untersuchte Gesinnung, statt Verbrechen zu verfolgen. Gesinnung aber, selbst eine politisch falsche, ist kein Delikt.
    In der Theorie klang die Einstufung in fünf Gruppen – Hauptschuldige, Aktivisten, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete – ganz vernünftig, in der Praxis goß sie Öl ins Feuer. Papierrummel als Schuldbewältigung. Die gleichen Parteien, die das Säuberungsgesetz einstimmig unterschrieben hatten, begannen es zu sabotieren; die Gewinnung von Anhängern war ihnen wichtiger als die Überführung Schuldiger.
    Auch in den einst von den Deutschen besetzten Ländern gab es nach 1945 ähnliche Probleme mit den Kollaborateuren. In Frankreich hatte der Heldensabbat zu einer langen, furchtbaren Bartholomäusnacht geführt, die Tausende Unschuldiger mit ins Verderben riß. Nur in Norwegen gelang es, bei der Verfolgung alter Verbrechen neue zu vermeiden. In dem skandinavischen Land wurden nur Menschen angeklagt, die sich nach geltendem Strafrecht schuldig gemacht hatten.
    Dazu freilich brauchte man moralisch wie fachlich einwandfreie Richter. Die Justiz aber war der Hilfsbüttel des Dritten Reiches gewesen und hatte blutige Hände. Der Vorsitzende von Mainbachs Sondergericht zog die Konsequenz daraus: Er ging in den Tod. Das war sehr voreilig; der Selbstmörder konnte ja nicht wissen und sich auch nicht vorstellen, daß letztlich nicht ein einziger Richter des Dritten Reiches, keiner dieser schrecklichen Juristen, jemals rechtskräftig verurteilt werden würde.
    Und dann kam der Auftritt des Dr. Schütz. Er stand da, im altmodischen Anzug mit den Hochwasserhosen, und trug einen Vatermörder und ein ungetrübt gutes Gewissen. Eigentlich benahm sich der Rex so, als müßten sich der Vorsitzende und seine Beisitzer für die Belästigung bei ihm entschuldigen: Kein Wasser war so durchsichtig, keine Vergangenheit so reinlich. »Ich war innerlich ein Gegner des Nationalsozialismus«, behauptete er mit fester Stimme und unsicheren Händen.
    »Warum sind Sie dann schon 1933 in die Partei eingetreten?«
    »Ich mußte mich tarnen. Ich hatte mich vorher politisch stark exponiert.«
    »Ihre Tarnung war sehr erfolgreich«, fuhr der Vernehmende mit offenem Spott fort. »Immerhin wurden Sie in dieser Zeit dreimal befördert, zuletzt zum Anstaltsleiter. Das ist ein Posten, den nur linientreue Nazis erhalten konnten.«
    Der Vorsitzende dieser Spruchkammer, der 1933 zwangspensionierte Postrat Klein, stand über dem Durchschnitt der politischen Laienrichter. Es war schwer, geeignete Männer für diese Position zu finden und sie auch noch zu überreden, das Amt auszuüben. Viele versagten
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