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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat
Autoren: Will Berthold
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in der Sowjetzone hatte diesen unwürdigen und gefährlichen Transfer nötig gemacht. Für sie war ein von Nazischergen Hingerichteter wohl noch immer ein Klassenfeind. Die Stadt, die Dr. Wolfgang Hartwig zum Schicksal geworden war, stand zu ihrem Wort und bereitete eine Ehrung in ganz großem Stil vor.
    Inzwischen hatte mir Captain Stone auf dem Abtsberg Einsicht in das fünfbändige Dossier des Schwurgerichts gewährt. Er gab die Akte nicht außer Haus, er wollte verhindern, daß Marie-Luise Hartwig sie einsehe, und mit dieser Vorsichtsmaßnahme hatte er – wie ich gleich feststellte – recht. Die Akte war eine faszinierende Lektüre, ebenso abstoßend wie erschütternd: das Sittengemälde einer ganzen Stadt, ihr Politpsychogramm, ein Sammelsurium der Gemeinheit, doch auch menschlicher Größe.
    Das Dritte Reich bezeichnete sich mit Vorliebe als Ordnungsstaat. Was den Strafakt Dr. Hartwig betraf, herrschte tatsächlich penible Ordnung. Jeder Denunziant und Zuträger war festgehalten. Aus dem Dossier ging ebenso hervor, wer Frau Hartwig bei den Kirchenbesuchen bespitzelt hatte, wie auch des Oberstaatsanwalts Rindsfell dringende Mahnungen, endlich einen Verhaftungsgrund zu beschaffen, oder eine Aktennotiz über das »befremdliche Verhalten des Pg Breuer, der sich nicht schämte, als Blockleiter in aller Öffentlichkeit mit der Witwe eines Hingerichteten zu sprechen.«
    Auch ich kam in dem Aktenberg vor, als einer, der sich geweigert hatte, den Observierten auszuhorchen. Dann in Panofskys Handschrift der Vermerk, daß auf Intervention des Kreisleiters Pg Eisenfuß davon Abstand genommen werde, den Fähnleinführer Stefan Hartwig weiter einzusetzen.
    Nicht schlecht, dachte ich, und in dieser Zeit war ich noch ein Hundertprozentiger gewesen, aber ein anständiger.
    Es war das Dilemma, an dem die deutsche Gegenwart des Jahres 1947 litt: Es gab zu viele anständige Nazis, genauer gesagt, es gab überhaupt keine unanständigen. Die schlimmeren saßen ja im Internierungslager und bescheinigten einander ihre Harmlosigkeit. Und den ganz schlimmen, wie zum Beispiel Panofsky, drohten Kriegsverbrecherprozeß und womöglich der Galgen.
    Bongo, der brutale Realist, hatte wieder einmal recht behalten: Obersturmbannführer Panofsky war aus einem der Vernehmungscamps im Taunus geflüchtet und wurde von sämtlichen Fahndungsorganen der Besatzungsmacht gejagt. Das geschah tatsächlich – nur geflohen war der SD-Chef nicht. Vermutlich hielt ihn eine US-Geheimdienstgruppe unter Verschluß, und Panofsky packte als Gegenleistung Informationen über die Sowjetunion aus, an die er nicht ausgeliefert würde.
    Peter Stone war außer sich. Aus Protest wollte er seinen Dienst quittieren; ich konnte ihn nicht beruhigen. Wir fuhren zusammen auf das Gelände der »Bertrag«, denn heute sollte die Firma offiziell aus der Property Control entlassen werden. Wir rollten den Abtsberg hinunter, erreichten die Schweinfurter Straße, fuhren stadteinwärts. Wir passierten das Krankenhaus. Ein Ambulanzwagen stand vor dem Eingang, daneben eine junge Frau mit schulterlangen blonden Haaren: Claudia im weißen Arztkittel, der ihre fraulichen Konturen nicht ganz verbergen konnte.
    Ich spürte einen Stich. Einen Moment war ich in Versuchung, Peter anhalten zu lassen, aber dann war der Stummfilm schon abgespult, und mein Puls normalisierte sich wieder.
    Bei der ›Bertrag‹-Übergabe wurden nicht viele Worte gesprochen; aber daß auch Tante Gunda zu den Festgästen gehörte, merkte man an dem köstlichen Tropfen, der serviert wurde. Kalle Klett war jetzt kein Treuhänder mehr, sondern der Chefmanager und Vorstandsmitglied. Wir redeten ihn nur noch selten mit Bongo an; bei einem Mann auf dem Weg nach oben wäre es respektlos gewesen.
    Captain Stone ließ seinem Grimm über Panofsky freien Lauf. Er hob das Glas. »Prost, Kassandra«, sagte er mit angewidertem Gesicht. »Zum Kotzen.«
    »Peter will den ganzen Krempel hinwerfen«, erklärte ich.
    »Grundfalsch«, entgegnete Kalle. »Einer wie du, der die Verhältnisse kennt, ist ein Glücksfall, und daraus ergeben sich Verpflichtungen.«
    »Aber ein Bluthund wie Panofsky«, empörte sich der Captain, »sitzt auf Nummer sicher im Gestrüpp einer US-Geheimdienstgruppe, raucht Chesterfield, lacht über seine Verfolger, setzt Speck an und wird geschützt von Leuten, die meine Uniform tragen.«
    »Irrtum«, konterte Kalle, »im Untergrund trägt man Zivil – das weiß ich seit Lyon.«
    »Unter den US-Offizieren war
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