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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat
Autoren: Will Berthold
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ihr die Illusion zu erhalten, an der Front könne der Soldat sein Schicksal bestimmen. Mutter sollte so fest daran glauben wie an die Opferkerze für die heilige Kunigunda. »Ich tu', was ich kann, wirklich. Glaub mir das, Mutter.«
    Sie lächelte; sie war sehr tapfer. Sie wußte, daß ich es nicht mochte, wenn sie weinte. Sie hielt durch. Als der Zug abgefahren war und ich ein Buch aufschlug, schwammen die Buchstaben und drohten zu ertrinken. Ich merkte, daß ich nasse Augen hatte. Und jetzt weinte auch Mutter ganz bestimmt auf dem Nachhauseweg, und Vater hatte tröstend den Arm um ihre Schultern gelegt.
    Ein paarmal nahmen wir so Abschied voneinander und sahen uns immer wieder, für Tage, Wochen. Zwischendurch hatte ich längst erfaßt, wie stark die Frau war, die ich mitunter für verzagt und etwas hausbacken gehalten hatte. Mein Onkel, der Bruder meines Vaters, seit Jahren politisch exponiert, war in eine Treibjagd der Partei und Justiz geraten. Vater stand das nervlich nicht mehr durch; er drohte daran zu zerbrechen, aber Mutter richtete ihn immer wieder auf, obwohl Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartwig, der Onkel, von niemandem mehr gerettet werden konnte.
    Als ich dem brennenden »Tiger« entkommen war und die Hände gehoben hatte, hätte ich sie am liebsten gefaltet zu einem Dankgebet für meine Mutter, für ihren unerschütterlichen Glauben und ihren Mut. Es war mein erster Gedanke gewesen, wie glücklich meine Eltern sein mußten, wenn sie erfuhren, daß ihr Einziger den Krieg überlebt hatte, wo doch in dem Fünfundfünfzigtausend-Seelen-Städtchen schon weit über zweitausend Söhne und Männer gefallen oder als vermißt gemeldet worden waren.
    Ich füllte als PoW die Karte des Internationalen Roten Kreuzes aus. Die Post ging via Schweiz, und Umwege kosten Zeit. Ungeduldig wartete ich auf Antwort, auch wenn es nur zehn Worte sein durften, der Zensur wegen in Blockschrift zu schreiben. Ich zwang mich zur Ruhe.
    Ich ging Tag für Tag bei der Postverteilung leer aus.
    Und dann, längst nach Kriegsende, wurde endlich der Name Stefan Hartwig ausgerufen.
    Ich preschte nach vorne.
    Das erste Lebenszeichen meiner Eltern war ihre Todesnachricht.
    Letzter Kriegstag für Mainbach: Trotz einiger Bombenschäden war die Stadt bis jetzt fast unzerstört geblieben, eine Rarität im Deutschland des Jahres 1945. In der Region mit dem milden Klima hatte der Frühling bereits seinen Einzug gehalten; ihm folgten andere Eroberer: US-Panzer, Jeeps, Artillerie, Infanterieeinheiten rollten auf die alte Kaiserstadt zu.
    Sie hatten es weniger auf das deutsche Rom abgesehen als auf die Nachbarstädte Schweinfurt und Nürnberg, aber Mainbach sollte als Festung verteidigt werden bis zum letzten Stein. Die »Shermans« waren schneller als die militärische Unvernunft.
    Die Angreifer tasteten die Stadt nur ab, vernichteten dabei ein paar Häuserzeilen, davon auch eine in der Innenstadt, und darunter das Haus meiner Eltern. Totalschaden. Erst viel später hatte man Vater und Mutter gefunden. So war ihnen wenigstens das Massengrab erspart geblieben und die Beisetzung in Schränken, weil es keine Särge mehr gab.
    13. April 1945 – genau heute vor einem Jahr.
    Die Erinnerung war brutal, blutig und grausam. Sie wühlte in meinem Magen. Die Übelkeit kroch langsam die Speiseröhre hoch. Ich sprang auf und zwängte mich durch zur Toilette.
    Ich lehnte an der Wand und übergab mich, wusch mir meine Hände und versuchte, mein Gesicht wieder zu ordnen, als ich in das Bistro zurückging. Am Tisch stand noch mein Teller mit dem köstlichen Château.
    Pierre räumte ab, beleidigt.
    »Il n'est pas fou«, versuchte Kalle dem Patron zu erklären, daß ich nicht verrückt, sondern krank sei. »Mon ami est malade.«
    Der Wirt blieb gekränkt.
    »Mensch, Stefan, du bist völlig mit den Nerven runter. Möchte nur wissen warum«, sagte Bongo und stauchte mich zusammen. »Mit dir ist ja gar nichts mehr anzufangen.«
    Aber diesmal trickste er mich nicht aus.
    Ich sah, daß er die Zeitung inzwischen aufgehoben und begriffen hatte, was das Datum bei mir ausgelöst hatte.
    Vielleicht spielte Kalle seit langem nur den seligen Narren, den Schieber und den Schürzenjäger, um mich mit seiner immergrünen Laune von dem Finale in Mainbach abzulenken.
    Vielleicht war ihm gelegentlich genauso hundeelend wie mir zumute, und er war nur stärker – und ohnedies war er immer, wie selbstverständlich, für die anderen aufgekommen.
    »Schon gut, Stefan«, sagte er und legte
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