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Heißes Geld

Heißes Geld

Titel: Heißes Geld
Autoren: Will Berthold
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wohl dabei, aber er mußte Hannelore loswerden.
    Er öffnete noch einmal seine Knopfdruckbar, goss sich einen letzten ›Rémy‹ ein; es war ein Abschiedstrunk, denn sein exakter Plan über den Verlauf der ›Operation Heißes Geld‹ sah als erste Maßnahme den sofortigen Verzicht auf Alkohol vor, aber die ungewohnte Nüchternheit war nur eine unangenehme Seite des Einstiegs in die Zukunft.
    Sie war der einzige Gast in der kleinen Tagesbar; sie saß still in der Ecke, als horche sie in sich hinein. Sie kam in Abständen von fünf, sechs Monaten ins ›Carlton‹, seit Jahren schon, manchmal nur auf eine kurze Einkaufsrast, mitunter blieb sie in dem zentral gelegenen Haus auch über Nacht. Da sie ein, wenn auch seltener, Stammgast war, brauchte sie dann keinen polizeilichen Anmeldeschein mehr auszufüllen, und der aufmerksame Keeper wußte, daß die stille Frau Linsenbusch hieß, – Hannelore Linsenbusch – irgendwo im oberbayerischen Alpenvorland wohnte, aber ihrer Sprechweise nach aus Berlin oder jedenfalls aus Norddeutschland stammte.
    Sie wirkte stets schlicht angezogen, wenn auch nicht billig. Es schien ihr mehr am Geschmack zu fehlen, als an Geld. Sie bestellte nie mehr als eine Tasse Kaffee und hinterher vielleicht noch einen kleinen Cointreau, aber wenn sie zahlte, ließ sie sich kein Wechselgeld herausgeben, das bedeutete wenig Mühe und ein schönes Trinkgeld, und so war sie, aus der Kellnerperspektive betrachtet, doch ein guter Gast.
    So oft an der Rezeption das Telefon klingelte, schreckte die Besucherin – müde Augen in einem knochigen Gesicht, halblange, phantasielos geschnittene Haare – aus ihrer Versunkenheit hoch, um dann, wenn sie nicht gerufen wurde, wieder ins Grübeln zurückzufallen. Sie saß die Zeit ab wie eine Freiheitsstrafe, erschöpft vom Warten. Sie hinterließ den Eindruck, als wartete sie immer und meistens vergeblich.
    »Telefon in diesen Tagen, das ist furchtbar, gnä' Frau«, sagte der Ober. »Das Netz ist ständig überlastet.«
    Die Besucherin nickte, ohne etwas zu erwidern. Alle Jahre wieder wurde der Adventsmonat zu ihrer schlimmsten Zeit. Hannelore war dann schon vier Monate von Horst – der jedesmal zornig wurde, wenn sie ihn nicht Werner nannte – getrennt und mußte sich sieben weitere bis zum nächsten Zusammensein gedulden. Während die Menschen kaufwütig durch die City drängten, spürte sie ihre Verlassenheit schlimmer denn je. »Süßer die Glocken nie klingen«, spielte eine Melodie halblaut in den Raum und verstärkte den bitteren Zug um Hannelores Mund. Der Stern von Bethlehem war allenfalls für die Registrierkassen der Warenhäuser aufgegangen, jedenfalls nicht für sie.
    »Frau Linsenbusch«, rief der Mann an der Rezeption.
    Sie erhob sich rasch und eilte behende in die Telefonzelle zwischen Tagesbar und Empfang und nahm den Hörer ab: »Ja, bitte«, sagte sie mit belegter Stimme, wartete und horchte, sie hörte nur ein Rauschen und legte langsam auf, wie in Zeitlupe. Die Verbindung war wieder einmal zusammengebrochen – sie wußte, daß die Kommunikation mit einem Verschollenen problematisch war.
    Hannelore ging mit fahrigen Schritten zurück. Der Keeper, der sich vielleicht nur langweilte, sagte sich, daß sie mit hohen Absätzen, einem kräftigeren Lippenstift und etwas Rouge mehr aus sich hätte machen können und vor allem machen sollen. »Wieder nicht geklappt?« drückte er sein Bedauern aus.
    Im Grunde war es gleichgültig, ob Horst sie um 16 Uhr oder um 17 Uhr erreichte. Seine Gespräche liefen wie vom Tonband, und das lag nur zum kleinen Teil an ihrem Mann und zum größeren an den Umständen.
    Mit seinen Briefen ging es ihr ähnlich. Sie glichen einander, als wären sie hektographiert. Es ging nicht anders. Horst – Pardon, Werner – mußte übervorsichtig sein, und obwohl Hannelore diese Verschwörertricks nicht lagen, hielt sie sich gewissenhaft an seine Anweisungen, um sich wenigstens ein minimales Arrangement zu bewahren.
    Sie waren Gestrandete der Stunde Null, und Hannelore hatte sich in der ersten Zeit damit getröstet, daß andere Frauen, deren Männer gefallen waren, weder einen vorprogrammierten Brief, noch einen standardisierten Telefonanruf, und schon gar keine vier Wochen Zusammenleben einmal im Jahr haben würden.
    Aber dann waren Männer wieder aufgetaucht, von denen man es nie erwartet hatte, ganz Große des Dritten Reiches, nur leicht angeschlagen, sonst ziemlich ungeschoren. Hannelore war nicht neidisch, aber das
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