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Heißes Geld

Heißes Geld

Titel: Heißes Geld
Autoren: Will Berthold
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Umsicht, mit der er die Geschäfte der DEWAKO in Paris von 42 bis 44 geleitet hatte, einschließlich der verwahrungssicheren Dollars, die dabei für ihn abgefallen waren. Das ›Deutsche Warenkontor‹, Verwaltungssitz Paris, Champs Élysées, gleich hinter dem Rond Point, war der Brückenkopf einer deutschen Scheinfirma, die wiederum zu einer so omnipotenten Staatsholding gehörte, daß sich ihre Beauftragten bei ihr Vollmacht über Leben und Tod ausleihen konnten. Aber es ließ sich nicht leugnen, daß Männer, die Nareike aus seiner Pariser Zeit nur zu gut kannte und die wirkliche Abscheulichkeiten verübt hatten, es unter ihrem richtigen Namen als ehrenwerte Bürger bereits wieder zu etwas gebracht hatten, während er unter falschem Namen im Untergrund bangen mußte, durch einen albernen Zufall oder eine eifersüchtige Ehefrau entlarvt zu werden. Bei Zusammenbrüchen heißt es eben: Wer zuerst kommt, hängt zuerst, und Nareikes Verhängnis war es gewesen, daß er – von einem früheren Mitarbeiter denunziert – auf der Flucht vor dem Galgen einen US-Captain niedergeschossen hatte.
    Die Fabriksirenen verkündeten die Mittagspause. Nareike schaltete automatisch die Nachrichten ein. Er saß im Stuhl zurückgelehnt, die Beine auf die Schreibtischplatte gelegt. Im Radio machten sie bereits Inventur, obwohl das Jahr noch nicht zu Ende war, in dem durch die Berliner Mauer die Spaltung Deutschlands zementiert worden war und das Pro-Kopf-Einkommen der Deutschen bereits die Hälfte des amerikanischen erreicht hatte und wuchs und wuchs und wuchs. Und er würde das Vermögen der Müllers mehren und, wie alljährlich, zur Kur nach Dingsbach fahren, zur Ekelkur, und sich vornehmen, es wäre das letzte Mal gewesen, wie sich ein Raucher verspricht, nach der nächsten Zigarette aufzuhören. Aber ab und zu schaffte es ein Nikotinsüchtiger doch, und Nareike nahm sich in dieser Stunde endgültig vor, das Rauchen aufzugeben.
    Hannelore war anständig. Sie würde ihn nie verraten, solange er zu ihr hielte, aber der Kontakt, zu dem sie ihn zwang, brachte Gefahren mit sich: Seine Ehefrau war die einzige Verbindung zur Welt von gestern, und wenn man nach ihm fahndete, würde man ihn über Hannelore suchen und sich fragen, wohin sie jeweils im August reiste und wen sie dort träfe.
    Er hatte sie immer wieder darauf hingewiesen, aber seine Witwe klammerte sich gleich einer Schiffbrüchigen an die befristete Gemeinsamkeit, bestand hartnäckig auf der Exekution jeder Stunde. Mitunter hatte er versucht, das Datum zu manipulieren oder den Urlaub zu beschneiden. Als er feststellte, daß sie bösartig wurde, ja fast tückisch, hatte er es aufgegeben.
    Es war nicht die einzige Schwachstelle seiner neuen Identität, denn seine stillgelegte Ehefrau bestand darauf, daß er sich – abwechselnd – einmal in der Woche brieflich oder telefonisch bei ihr meldete. Er tippte eigenhändig magere Briefe auf einer privaten Schreibmaschine, postlagernd München, im Turnus jeweils ein anderes Postamt. Noch riskanter waren die Telefonanrufe, die er alle 14 Tage – morgen wieder – führen mußte. In Sicherheitsfragen war Nareike ein Fanatiker des Details. Er fuhr nach Düsseldorf, um seine Mitwisserin jeweils von einem anderen Restaurant aus im Telegrammstil zu beschwichtigen, wobei Hannelore jedesmal in einem anderen Hotel der Isarstadt seinen Anruf erwartete. Das Schema wurde nach einem abgesprochenen Prinzip durchgespielt, so daß sie höchstens zweimal jährlich im gleichen Haus auftauchte.
    Das Verfahren war aufwendig und umständlich, aber sie blieben dabei, auch als sie sich längst daran gewöhnt hatten, daß sich niemand, und schon gar kein Staatsanwalt, Richter, Kriminalist oder Geheimdienst-Agent, für sie interessierte.
    Nareike wußte wohl, daß seine Frau ihre Qualitäten hatte – mitunter aber hasste er sie so, daß er sie hätte töten können. Diese Vorstellung war für einen Mann wie ihn weder spontan, noch theoretisch, noch abwegig. Schließlich hatte er in seinem Leben schon weit härtere Dinge hinter sich gebracht als die Beseitigung einer einsamen Frau. Hannelores Ende war für ihn Teil eines Planspiels, vor allem, wenn es auf den Hochsommer, auf das vierarmige Verlies der Intimität, zuging.
    Nareike gab die lässige Haltung am Schreibtisch auf. Sein Entschluß war gefaßt. Einem Spieler gleich, setzte er alles auf eine Karte, und da er bei Frauen immer ein Falschspieler war, würde es eine gezinkte sein. Es war ihm nicht
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