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Heißes Geld

Heißes Geld

Titel: Heißes Geld
Autoren: Will Berthold
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hielt sie nun doch für ungerecht, zumal Horst viel früher als alle anderen erkannt hatte, daß der deutsche Schicksalskampf mit einem Debakel enden würde. Seine Intelligenz war für sie, und vor allem für ihren Vater, immer weniger in Frage gestanden, als seine Treue zum Führer. Schon bei Kriegsausbruch hatte Horst wenig Begeisterung gezeigt, und als der deutsche Vormarsch vor Moskau liegengeblieben und die USA in den Krieg eingetreten waren, hatte er – freilich etwas angetrunken – festgestellt: »Du wirst lachen – auch diesmal werden wir verlieren.«
    Sie war entsetzt gewesen, zumal sie später feststellte, daß er nüchtern genauso dachte. Sie wenigstens wollte keine Defätistin sein, und Horst hätte als Schwiegersohn eines Reichsleiters wohl auch jenen Grund gehabt, den Helm fester zu binden und sich entschlossener in die Bewegung einzureihen. Eine Zeitlang hatte sie Horst wegen seiner laxen Auffassung sogar verachtet. Später begann sie zu fürchten, daß er recht behalten könne, denn der Feind rückte immer näher. Die deutschen Städte lagen zunehmend im Bombenhagel, und alle gewöhnten sich an, die Zeitungen von hinten nach vorne zu lesen, wegen der vielen kleinen Todesanzeigen.
    Horsts Dienststelle hatte Paris räumen müssen, er war jetzt wieder in Berlin, sie noch immer in Breslau, und Horst jr. ein aufgeweckter Junge, an dem sie beide gleichermaßen hingen, wurde mit noch nicht einmal 14 Jahren als Flakhelfer eingezogen. Kurz nach der letzten Kriegsweihnacht erschien sein Vater in Breslau und forderte Hannelore auf, das Wichtigste zusammenzupacken und sich abmarschbereit zu machen. Er sei für sie verantwortlich und wolle sie nach Oberbayern evakuieren. Sie war zuerst so verblüfft, daß sie sich wehrte; sie nahm an, es hinge wieder mit einer seiner dummen Weibergeschichten zusammen, aber Horst erklärte ihr, daß der Reichsführer SS bereits falsche Ausweise an seine engsten Mitarbeiter ausgeben lasse, er verzog den Mund: »Und Zyankali-Kapseln, die in ein paar Sekunden tödlich wirken – aber wenn du noch immer an Wunderwaffen glaubst, brauchst du kein Gift, dann werden schon die Russen für dein Ableben sorgen.«
    Hannelore glaubte ihm noch immer kein Wort, aber sie gab schließlich nach und versprach ihm auch, besonders auf den braunen Koffer, Horsts spezielles Fluchtgepäck, zu achten, bis auf weiteres niemanden ihren künftigen Aufenthaltsort mitzuteilen und – was auch geschähe – in jedem Fall abzuwarten, bis ihr Mann wieder bei ihr auftauchen würde. In der Zeit des Zusammenbruchs war Hannelore wie betäubt, nicht mehr sie selbst; nur allmählich fing sie sich wieder. Als sie am 20. Mai 1945 im Radio hörte, daß ein gewisser Heinrich Hitzinger, der nach seiner Festnahme durch britische Militärpolizei eine im Mund verborgene Giftkapsel zerbissen und dadurch Selbstmord verübt hatte, im Vernehmungslager 031 bei Lüneburg einwandfrei als Heinrich Himmler identifiziert worden sei, lebte Hannelore längst unerkannt und unbekannt in Sicherheit. Erst später erfuhr sie, daß ihre Eltern den gleichen Weg gewählt hatten, sich der Zukunft zu stellen wie der Reichsführer SS, dessen Namensgeber Hitzinger übrigens als Volksschädling zum Tode verurteilt worden war.
    Zuvor hatte Hannelore schon unerträgliche Hiobsnachrichten hinnehmen müssen: Horst, ihr prächtiger Junge, war in den letzten Kriegstagen in einem Berliner U-Bahn-Schacht gefallen, und Horst senior, ihr Mann mit ungewissem Schicksal, auf der Flucht. Er hatte bei der DEWAKO in Paris eine ganz entscheidende Aufgabe zugunsten der Kriegswirtschaft gelöst und – trotz seiner Zweifel – seine Pflicht getan, woraus ihm die Alliierten einen Strick drehen wollten. Die Familie Linsenbusch hatte einen hohen Preis für die Bewegung zu bezahlen, über die man jetzt auch noch die übelsten Dinge hören mußte, aber Hannelore war noch immer davon überzeugt, daß diese Untaten – soweit sie wirklich geschehen waren – von unverantwortlichen Gefolgsleuten hinter dem Rücken des Führers verübt worden seien.
    Sie hob den Kopf.
    Der Keeper sah sie fragend an.
    »Nein, danke«, sagte Hannelore. Ob sie wollte oder nicht, so oft sie aufsah, mußte sie in den großen Wandspiegel unter dem Flaschenregal blicken, und das war kein sehr erfreulicher Anblick. Sie war neun Jahre jünger als ihr Mann, aber sie wirkte viel älter als er. Sie hatte ihre Haare frisch gewaschen, aber sie sahen strähnig und farblos aus. Nie hatte sie sich zu
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