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Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Titel: Heiraten für Turnschuhträgerinnen
Autoren: Filippa Bluhm
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eigentlich ein Sarde ist, wir wollten nur noch mal die Gästeliste überarbeiten, und eigentlich war alles friedlich – bis wir nach der Vorspeise auf den Vorschlag von Georgs Eltern, die Hochzeit bei ihnen in Hattingen zu feiern, zu sprechen kamen. Keine Ahnung, wie er darauf kommt, eine Feier am anderen Ende der Republik überhaupt in Erwägung zu ziehen, aber seit einer halben Stunde beharrt Georg darauf, dass es bei einer Hochzeit gar nicht um das Brautpaar geht.
    »Aber Lotte, eine Hochzeit ist ein Familienfest! Da muss man sich eben auch mit den Vorstellungen der Familie arrangieren!«
    »Ganz wie du meinst«, sage ich schnippisch, »dann frag ich mal meine Mutter, was die sich so vorstellt!«
    »Aber Schatz!«, ruft er und wird kreidebleich. »Wir können doch nicht in Polen heiraten!«
    »Nein? Polen liegt immerhin näher an Berlin als … Hattingen!« Ich bemühe mich, das Wort nicht zu abfällig auszuspucken. Ich meine, ich will ja nichts sagen, aber Hattingen entspricht meiner Vorstellung einer spießbürgerlichen deutschen Kleinstadt wie kaum ein anderer Ort. Ich mag Georgs Eltern wirklich sehr, aber Hattingen?
    Schmollend reißt Georg eine Scheibe Weißbrot in Fetzen.
    »Schatz«, versuche ich ihn zu beschwichtigen. »Was ich doch nur sagen will: Findest du wirklich, dass das die Hochzeit ist, die wir feiern wollen? Das Gasthaus zur Bärentatz? Curry-Putenbrust und Schokopudding? Sind das w ir ? «
    Georg will gerade zum großen Verteidigungsschlag ausholen, als der Wirt unsere Hauptgänge an den Tisch bringt: zweimal sardischen Schweinebraten. Er muss meine letztenWorte gehört haben, denn er verzieht das Gesicht, ruft angewidert »Curry-Butänbrrruuust!« und »Mamma mia!« und schaut drein, als würde er sich gleich auf unsere Teller erbrechen. Was er danach noch sagt, verstehe ich nicht, aber die Tendenz ist klar, das verrät seine Mimik.
    Ach, die Italiener und ich! Wir verstehen uns eben!
    Georg hingegen schweigt beschämt.
    Er schweigt so beschämt, dass ich mir das Totschlag-Argument spare, dass meine Mutter vielleicht gar nicht von einer polnischen Hochzeit träumt, sondern genauso gut auf die Idee kommen könnte, in München zu feiern, in der Stadt, in der meine Familie seit ungefähr 35 Jahren lebt. Denn so sicher, wie ich weiß, was ich von Hattingen halte, weiß ich, dass eine Hochzeit in München für Georg die Höchststrafe wäre – Menschen, die außerhalb von Fetischklubs Lederhosen tragen und, wie er es nennt, »Bier aus großen Gläsern« trinken, sind ihm aus Prinzip unheimlich. Er ist da wirklich so was von stur! Ich habe ihn jetzt schon viermal mit nach München genommen und versucht, ihn für die vielfältigen Reize dieser Stadt zu begeistern, aber alles, was er München zugesteht, ist eine gewisse architektonische Attraktivität. Sobald er hört, wie jemand im Dialekt eine Leberkas-Semmel bestellt, verengen sich seine Augen zu Schlitzen, und er gibt Laute von sich, die eher im hottentottischen Sprachraum anzusiedeln wären.
    »Oi La-aba-ka-semmal.«
    Er jedoch behauptet steif und fest, das, was er da stammle, sei bayerisch.
    »Na komm, Schatz«, sage ich. »Ich bin mir sicher, dass wir einen wunderbaren Ort in der Nähe von Berlin finden werden. Ist doch auch die fairste Lösung. So wird sich keiner unserer Eltern benachteiligt fühlen.«
    Das habe ich einmal in einem Ratgeber für Verhandlungstechnikgelesen: Formuliere dein Angebot stets so, dass es auch für die Gegenseite attraktiv klingt.
    »Meinst du wirklich?«, fragt er unsicher.
    »Ja, das meine ich«, sage ich mit fester Stimme, obwohl ich weiß, dass es nicht stimmt. Wenn wir in Berlin heiraten, werden beide Familien beleidigt sein. Ich kann meine Mutter jetzt schon hören: Berlin? Berlin? Warum nicht Katowice! Da ist es viel schöner!
    »Na gut«, sagt Georg.
    »Und jetzt lass uns endlich essen«, sage ich, damit er es sich nicht noch einmal anders überlegt.
    Mit Essen oder Gesprächen über das Essen kann man Georg immer ablenken. Meine Begeisterungsfähigkeit für dieses Thema ist schon slightly over the top. Aber was für mich nur eine Leidenschaft ist, ist für ihn eine Art Religion, eine heidnische Verehrung. Georg hat in seinem Leben mehr Kochbücher als Romane gelesen. Während sich andere in Rom die prächtigen Fresken diverser Barockkirchen ansehen, kann er stundenlang im Anblick der Theke einer traditionellen Macelleria schwelgen. Was anderen ein Sonnenuntergang über dem Meer ist, ist ihm ein sich langsam
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