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Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Titel: Heiraten für Turnschuhträgerinnen
Autoren: Filippa Bluhm
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einen Tick anders vorgestellt. Ich war mir sicher, dass er mich nach meinem Traumreiseziel fragen und ich »Italien« antworten würde, er sich nach kurzem Murren meinem Wunsch beugen würde und wir den Rest des Abends die kulinarischen Vorzüge der verschiedenen Regionen diskutieren würden. Nicht, dass ich etwas gegen andere Länder hätte, ich halte mich durchaus für kosmopolitisch, ja, im Herzen bin ich geradezu eine Weltbürgerin! Unter anderem war ich schon in London, Paris, New York und Südafrika; ich interessiere mich für asiatische Kunst, liebe brasilianischen Bossa nova; Georg und ich waren neulich sogar äthiopisch essen, und sicher ist auch Indien ein erstaunliches und hochinteressantes Land. Aber das sollen doch unsere Flitterwochen werden, und in den Flitterwochen muss man glücklich sein, und zum Glücklichsein brauche ich: ordentlichen Cappuccino, ordentlichen Wein und Pastagerichte erster Güte. Und gerade, was die Sache mit dem Cappuccino angeht, kommt an Italien einfach nichts ran.
    Während Georg zu Phase drei übergeht, fange ich langsam, aber mit deutlich abgekühlter Leidenschaft an, mich meinem Teller zu widmen. Dieser Schweinebraten gehört zu meinen absoluten Leibgerichten, aber die Flitterwochenfrage ist mir auf den Magen geschlagen. Indien!
    »Hast du keinen Hunger?«, fragt er, als er sieht, wie ich in meinem Fleisch herumstochere. Normalerweise sind wir beim Essen ungefähr gleich schnell.
    »Doch«, knurre ich und verdopple mein Tempo, denn ich weiß, dass er auf meine Reste spekuliert. Aber die gönne ich ihm nicht.
    Indien!
    »Was ist los mit dir?«, fragt Georg, als ich aufgegessen habe. Er nimmt meine Hand und streichelt sie. »Willst du nicht nach Indien?«
    Ich mache mich ganz klein und meine Augen ganz groß und schüttle leise den Kopf.
    »Wo möchtest du denn hin, Liebste?«
    »Italien«, sage ich zaghaft.
    »Italien?«, sagt er sehr laut.
    »Italia!«, ruft der Wirt und bringt uns die Dessertkarte. »Itaaaaliaaaa«, singt er, als er sich wieder von unserem Tisch entfernt.
    »Italien!«, sage ich bekräftigt.
    »Kommt überhaupt nicht infrage!«
    Und dann erzählt er mir wieder einmal die Geschichte von dem Schnösel mit der Lackfrisur und der venezianischen Bar.

    Glück braucht Zeit, denn es schlummert in jenem kurzen Moment, in dem wir uns vollkommen lieben, weil Körper und Seele …
    … Körper und Seele harmonisch …
    … in Harmonie …
    Mann, warum muss ausgerechnet jetzt das Telefon klingeln? Immer wird man abgelenkt, wenn man kurz vor demgeistigen Durchbruch steht. Gut, Kristin würde Texte für Kosmetikbroschüren eher für geistigen Durch fall halten, aber wer noch nie versucht hat, schwachsinnigen Schmalz zu schreiben, hat keine Ahnung, wie anspruchsvoll das sein kann.
    »Michalski?«
    »Lotta?«
    Auch das noch, meine Mutter. Angeblich gibt es ja Mütter, die dazu in der Lage sind, es am Telefon kurz zu machen. Meine gehört nicht dazu.
    »Mama, ich stecke mitten in der Arbeit, was gibt’s denn?«, sage ich, obwohl ich weiß, dass sie solche Ausreden nicht im Geringsten beeindrucken.
    »Wir haben dir gerade eine E-Mail geschrieben«, sagt sie stolz.
    »Aha«, sage ich. Eine E-Mail. Deshalb ruft sie an?
    Sie schweigt.
    Ich schweige.
    Dann kapiere ich langsam, was sie meint.
    »Eine E-Mail?«, rufe ich.
    Meine Eltern haben in ihrem ganzen Leben noch nie eine E-Mail geschrieben. Sie haben noch nicht einmal Internet, weil mein Vater der Meinung ist, dass sich dort ausschließlich menschlicher Abschaum bewegt. Leute, die nichts Besseres zu tun haben, als dummes Zeug zu »tschätten«. Nutten. Rockbands. Kinderpornohändler.
    »Wir empfangen jetzt auch das Internet«, sagt sie.
    »Wow«, sage ich.
    »Sag ihr, sie soll die E-Mail lesen«, höre ich meinen Vater aus dem Hintergrund.
    »Lies die E-Mail«, sagt sie mit einer Stimme, als stünde die Weltformel darin.
    Ich klicke auf den Posteingang, und tatsächlich, da stehteine E-Mail von »Ewa und Matthias Michalski«. Ich öffne sie und lese:

    Von: »Ewa und Matthias Michalski«
    An: »Charlotte Michalski«
    Betreff:
    Datum: 20. Januar

    Huhu! Wir haben Dir eine E-Mail geschrieben!
    Deine Eltern

    Das ist alles.
    »Toll! Danke, Mama!«, sage ich.
    »Ach was«, sagt sie mit gespielter Bescheidenheit. »Und? Wie geht’s bei dir?«
    »Ach, Mama, geht so. Weißt du, ich stecke gerade mitten in der Arbeit, vielleicht können wir heute Abend …«
    »Und die Hochzeit?«
    Das ist meine Mutter. Manchmal frage ich mich,
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