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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
Autoren: Thommie Bayer
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du da bist«, sagte ich.
    »Schlaf ruhig weiter«, sagte sie.
    »Ich hatte Besuch«, sagte ich.
    »Ich weiß«, sagte sie, »tut mir leid mit deinem Sohn.«
    Ich wollte gerade wieder einschlafen, da fiel mir auf, dass
irgendwas nicht stimmte. Träumte ich schon wieder, oder war ich noch wach?
    »Das mit meinem Sohn kannst du doch gar nicht wissen«, sagte ich.
    »Na dann eben nicht«, sagte sie, »schlaf.« Und sie drückte ihren
Kopf an meinen Mund, dass ich ihr kühles Ohr fühlte, dann drehte sie sich zu
mir her und biss mich vorsichtig in die Nase – ich spürte ihre Zähne, aber sie
taten nicht weh – dann leckte sie mir über den Mund. Ein Zungenkuss. Dann
schnurrte sie. Und ihre Krallen bohrten sich wieder in mein Handgelenk.
     
    ˜
     
    Die Liege war an ihrem Platz im Heizraum, die Decke im
Schrank, der Sessel im Wohnzimmer, und das Teewasser kochte. Als ich den Hahn
an der Badewanne aufdrehte, sah ich auf dem Klodeckel drei Mäuseleichen liegen.
Ein Abschiedsgeschenk. Sie würde nicht mehr kommen. Aus irgendeinem Grund
wusste sie von meiner Abreise.
    Obwohl ich die Leichen eklig fand, ließ ich sie liegen. Die Geste
war nicht eklig.
     
    ˜
     
    Die Massage tat so weh und gut wie am Tag zuvor, aber sie
fand in fast vollständigem Schweigen statt. Ob Carmen ein Morgenmuffel war oder
ob sie meine Melancholie spürte, gar selber eine kleine Abschiedswehmut
empfand, die wenigen Worte, die sie an mich richtete, waren Befehle wie »Jetzt
auf den Rücken bitte«, oder Ankündigungen wie »Tut weh, aber nicht lange.«
    Auch zum Bahnhof fuhren wir schweigend.
    »Ich bleib nicht zum Winken«, sagte sie dort, »Abschiede sind nicht
so meins.«
    Ich nickte und stellte meine Tasche ab. Dem Impuls, sie einfach in
die Arme zu nehmen, gab ich nach, ohne ihn vorher auf seine Schicklichkeit hin
zu überprüfen, und sie erwiderte meine Umarmung. Dann küsste sie mich auf beide
Wangen und sagte: »Alles Gute.«
    Dann ging sie zu ihrem Auto, stieg ein, ließ das Fenster runter und
winkte, während sie aus meinem Blickfeld kurvte.
    Der Zug stand schon da. Ich stieg ein. Und starrte auf den Boden vor
meinem Sitz, bis er losfuhr.
     
    ˜
     
    Ich brauchte ein paar Stunden, bis kurz vor Mannheim, um
mich aus meinem Abschiedsjammer herauszugrübeln. Die Landschaft, die an mir
vorbeizog, kam mir wie eine Kulisse vor, nur dazu aufgestellt, mich mit der
Botschaft, Es gibt auch andere schöne Orte , zu
belügen. Immer wieder fielen mir Sätze von Isso ein: Sei
nicht so ermahnlich, Wir Katzen sind Musen, Du siehst aus wie ein großer
Frosch, Tut mir leid mit deinem Sohn , oder ihre seltsame
Reinkarnationstheorie, die sie mir zwar nicht erklären, aber locker vor den
Latz hatte knallen können, so wie jeder religiöse Spinner, der mit freundlicher
Inbrunst auf alle Logik pfeift.
     
    ˜
     
    Zwischen Mannheim und Frankfurt gelang es mir dann nach
und nach wieder, die Realität zu akzeptieren. Es war eine schöne Woche gewesen,
aber nicht das wirkliche Leben – das erkannte man schon daran, dass im
wirklichen Leben Katzen nur Geräusche machten, keine Worte, und in meinem wirklichen Leben ein Haus auf dem Land einfach nicht
zu den realistischen Perspektiven gehörte. Ich würde diese Auszeit als schönes
Geschenk verbuchen, ein Geschenk, das ich mir selbst gemacht hatte und das mir
von Carmen, Isso und Johannes gemacht worden war, und jetzt ginge es eben
wieder mit der Normalität weiter. Den dämlichen Mini-Skandal würde ich
aussitzen, den miesen Verleger ignorieren und mein Leben wie bisher
weiterführen.
     
    ˜
     
    In Frankfurt schaltete ich mein Handy ein und stellte
fest, dass nur zwei Anrufe in Abwesenheit und eine SMS drauf waren, der
eine Anruf kam von Wolf, die Nummer des anderen erkannte ich nicht, die SMS war von einem Verlag, der mir eine Übersetzung anbot. Ich beantwortete sie und
sagte zu. Die Anrufe konnten warten.
     
    ˜
     
    Irgendwo vor Kassel hielt der Zug auf freier Strecke. Eine
Signalstörung. Das war die Gelegenheit, meine Rückkehr in die Wirklichkeit zu
forcieren, und ich schaltete den Laptop ein. Das Internet ließ ich links liegen
– bis ich meinen Namen wieder googeln würde, musste noch einige Zeit vergehen,
aber ich rief meine E -Mails ab. Ganz oben in der Liste stand der
Absender cujseelig . Und im Betreff die Zeile Erde an Raumschiff.
     
    Ja, das ist jetzt peinlich: Aus unserer
Hochzeit wird nichts, weil Johannes so ein Spießer ist. Er findet, ich könnte
mir Deine Rezepte aufschreiben, das käme
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