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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
Autoren: Thommie Bayer
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Hand
legen.«
    »Danke.«
    »Und kochen kannst du auch.«
    »Frugal.«
    »Also los, wir denken uns noch schnell den grausamen Mord aus, der
hier geschieht, und dann fängst du an mit Schreiben.«
    »Ein düsteres Familiengeheimnis geht auch.«
    »Ich bin die Enkelin eines Kriegsverbrechers, sein Erbe ist mit Blut
besudelt, und ich will das Geheimnis nicht lüften, weil Johannes der Enkel
eines der Opfer ist.«
    »Du hast Angst, ihn zu verlieren, wenn er das herausfindet?«
    »Ja. Und vor allem hab ich Angst, ihn zu verletzen. Den Horror
wieder aufzurühren, der seine Kindheit so vergiftet hat.«
    »Dabei weiß er das alles schon längst und ist seinerseits nie damit
rausgerückt, um dich zu schonen.«
    »Gut. Sehr gut. Am Ende spende ich das ganze Geld einer
Hilfsorganisation.«
    »Und reitest mit Johannes und den Kindern in den Sonnenuntergang.«
    »Genau.«
    Sie hielt mir ihren leeren Teller hin – ich sollte ihn auffüllen.
Also holte ich die nächste Portion Rösti aus dem Backofen und freute mich über
ihren Appetit.
    »Wann musst du am Bahnhof sein?«, fragte sie, und ich erschrak, denn
es war mir tatsächlich gelungen, meine Abreise am nächsten Tag zu verdrängen.
    »Halb elf«, sagte ich.
    »Da kann ich dich fahren. Und wenn du willst, massiere ich dich noch
vorher. So gegen neun.«
    »Ja«, sagte ich und versank für einen Moment in Abschiedsschmerz,
weil ich alles wieder auf mich zukommen sah, dem ich mich so glücklich
entronnen fühlte. Das vermüllte Berlin, mein vermülltes Seelenleben, meine
vermüllte Reputation.
    »Schade, dass du meine Mädchen nicht kennenlernst. Wenn sie nicht
gerade streiten, sind sie süß.«
    »Gut, wenn ich sie nicht kennenlerne«, sagte ich, »sonst würd’s mir
vielleicht noch schwerer fallen, hier wegzufahren.«
    Sie sah mich an. Wie Isso. Eigentlich sah sie ihr zum Verwechseln
ähnlich. Fehlten nur der hellgraue Fleck überm linken und der schwarze überm
rechten Auge.
     
    ˜
     
    Drei Zigaretten und jeweils ein Glas später verabschiedete
sie sich mit einem Kuss auf meine Wange, und ich zog den Sessel nach draußen,
nachdem ich den Abwasch fertig und die Küche aufgeräumt hatte. Ich schaute mir
die Dämmerung an und versuchte, den Moment zu erkennen, an dem die Farben
verschwinden und nur noch Hell-Dunkel übrig bleibt. Es ging nicht. Entweder
wusste ich noch, dass der Ahorn grün war und sah das Grün im Schwarz, oder er
hatte wirklich ein sehr dunkles Grün, das kaum mehr von Schwarz zu unterscheiden
war.
    Ich hatte Villa-Lobos aufgelegt und lauschte in den Pausen, ob
vielleicht wieder Klavierspiel von drüben erklänge. Als es ganz dunkel geworden
war, so dunkel, wie es eben bei klarem Himmel und fast vollem Mond werden
konnte, holte ich mein Handtuch und ging zum See.
    Auf dem Weg hörte ich ferne Musik, eine Rockband, die alte
Chuck-Berry-Sachen spielte. Es klang nicht sehr gekonnt, aber das konnte auch
an der Entfernung liegen. Vielleicht wäre es direkt vor den Boxen akzeptabel
gewesen.
    Im Wald wurde es dann wirklich finster, aber ich kannte den Weg nun
schon so gut, dass ich ihn fand, ohne mich zu verletzen oder zu verlaufen.
    Inzwischen, nach drei heißen Tagen, war das Wasser warm wie in der
Badewanne, und zusammen mit dem Mondlicht ein einziges Schmeicheln und
Schmiegen an meiner Haut. Ich versuchte, aufmerksam zu sein, den Moment zu
genießen, meinen Abschied vom verwunschenen See, aber es war wie im Museum vor
einem grandiosen Original. Ich wusste, dass erst die Erinnerung alles
zusammenfügen würde, was jetzt nur in einzelnen Teilen bei mir ankam. Wärme
hier, Feuchtigkeit da, Plätschern dort und Mondlicht, Käuzchen, Rascheln im
Wald noch mal woanders.
    Ich blieb im Wasser, bis meine Fingerspitzen verschrumpelt waren.
Issos großer Frosch. Leider war sie nicht da, um mit mir den Heimweg
anzutreten.
     
    ˜
     
    Das Käuzchen rief noch immer, als ich mich in mein wieder
aufgebautes Terrassenbett legte, und es rief weiter in meinen Traum hinein.
Dort klang seine Stimme allerdings nicht mehr sehnsüchtig, sondern ironisch,
sie passte zum Gelächter Florians und seiner Mutter, die sich köstlich über
mich amüsierten. Ich war seltsamerweise nicht beleidigt über ihren Spott, sondern
erleichtert über ihre gute Laune. Und vollends zufrieden, als Minnie in meinem
Arm lag und ihre Krallen genüsslich in mein Handgelenk bohrte.
    Nein, das war Isso. Sie hatte ihren Hals so nah an meinem Mund, dass
ich mit meinem Atem ihr Fell aufplusterte.
    »Schön, dass
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