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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel
Autoren: Wolfram Weimer
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Beckenbauer grüßt mit einem von der britischen Queen nicht getragener hervorbringbaren würdevoll-langsamen Wink zurück. Die Fotografen formieren sich wie eine Herde und lassen ihre Kameras klackern, summen und surren. Sie rufen, weil der Schüler das Stichwort gegeben hat: »Herr Kaiser, schauen Sie mal hierher!« und: »Hallo, hier, Herr Kaiser!« Wie ein Schäfer bleibt Beckenbauer in gebührendem Abstand zu seiner Fotografenherde stehen und lächelt kaiserlich.
    Die Protokollbeamtin eilt ihm entgegen und streckt ihm ihre kleine sehnige Hand so bestimmt entgegen, dass er den fühlbaren Ehrgeiz der Frau mit einem besonders jovialen Lächeln entgegnet.
    »Die Kanzlerin ist schon unterwegs. Und Sie haben ja Kaiserwetter mitgebracht«, trällert sie in leicht ostdeutschem Akzent, doch den Kalauer hat er schon so oft gehört, dass sein Lächeln fast erstirbt.
    Die Gymnasiasten kommen näher, tuscheln, rumoren, zücken ihre Handys und wollen Fotos machen.
    »Kommt’s halt her«, ruft Beckenbauer ihnen zu und lässt sich auf eine minutenlange Fotografiererei ein, denn inzwischen haben auch die Damen aus Koblenz entdeckt, wer da vor der Pforte der Klosterkirche wartet. Da das Gymnasium just auch in diesem Klosterschloss untergebracht ist und die Schüler sich den sensationellen Besuch gegenseitig über ihre Handys zusimsen, wird der Auflauf immer größer. Jeder fotografiert jeden, wie jeder jeden fotografiert, und dann sich und alle, und auch Beckenbauer fotografiert, und so fügt sich alles in einer eigentümlich anarchischen Kettenreaktion zu einem gesamten Fotofoto.
    Als die Kanzlerin in einer Begleitung von fünf, sechs Sicherheitsbeamten und ihrem Regierungssprecher eintrifft, wird sie erst gar nicht bemerkt. Beckenbauer ist inzwischen von einer aufgekratzten Menge umringt. Denn neben Fotos wollen vor allem die Gymnasiasten auch Autogramme. Und geduldig verteilt er sie auch. Die Protokollbeamtin hat Mühe, ihm im Gewühl zuzurufen:
    »Ihre Verabredung ist da.«
    Beckenbauer lächelt noch einmal für ein letztes Foto.
    »Ich komme sofort. Das ist für die Abi-Zeitung: ›Abilymp – wenn Götter gehen!‹ Ein Elitegymnasium! Lustig.«
    Mit ihrem kleinen Tross wartet die Kanzlerin etwas abseits und beobachtet das Treiben, ehe zwei Koblenzer Rentnerinnen sie ebenso entdecken und laut rufen:
    »Da is ja auch noch die Kanzlerin!«
    In dem Moment schreitet Beckenbauer der Kanzlerin wie Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem durch die Menge entgegen. Die Fotografen beginnen zu rennen, die Koblenzerinnen bleiben wie versteinert stehen, die Gymnasiasten feixen, zwei Tauben flattern davon. Die Kanzlerin geht keinen Schritt voran, lässt vielmehr ihn, flankiert von heranhetzenden Fotografen, kommen und begrüßt ihn dann herzlich. Beide bewundern gegenseitig ihre Wanderstiefel, und die Fotografen halten dutzendfach im Superzoom auf die Schnürsenkel und die graubraunen Wandersocken mit aufgestickten Alpenveilchen. Hernach ziehen sie unter einigem Aufbrausen der Menge ins Bräustüberl .
    In der gewaltigen Gaststube mit meterdicken Mauern, massivem Gewölbe und lebensfrohen Kellnerinnen ist den beiden ein Nebenraum reserviert. Nur der Regierungssprecher kommt mit an den Tisch, auf dem Butterbrezeln, Obazda und Radieschen warten.
    »Schön, dass das klappt«, eröffnet die Kanzlerin, »ich hoffe, Sie wandern so gern wie ich?«
    »Jo mei, ich spiel eigentlich lieber Golf, da wandert man auch. Aber mit Ihnen zu wandern ist natürlich das Größte. Auch wenn der Aufstieg ziemlich steil ist.«
    »Wie bei Ihnen in der Politik«, gibt ihm die Kanzlerin zurück.
    Der Regierungssprecher referiert den Tagesablauf. Nach dem Aufstieg warte eine Jause auf der Almhütte. Dort stehe dann der Hubschrauber bereit, der beide anschließend wieder herunterbringe. Beim gesamten Aufstieg und auf der Hütte seien Fotografen dabei. Man brauche möglichst viele idyllische, heimatverbundene Motive unter strahlender Sonne.
    »Ich dachte, wir sind zu zweit und können reden?«, fragt Beckenbauer entgeistert.
    »Reden können wir schon, aber immer schön lächeln dabei«, empfiehlt die Kanzlerin. »Das ist wie in der VIP-Lounge beim FC Bayern.«
    »Na dann, gemma halt!«, gibt Beckenbauer sein Einverständnis.
    Sie entschwinden durch einen Hinterausgang direkt am Braugebäude vorbei, wo es hopfenblumig-hefig riecht, was Beckenbauer zu einem tiefen Atemzug verleitet. Die Fotografen haben sich inzwischen an der Straße entlang verteilt, stehen auf
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