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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel
Autoren: Wolfram Weimer
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Welt gesegnet, also ideal für ein »Gender-Signal des Weltfußballs«.
    Keine Stunde nach dem Gender-Signal aus Zürich berichtet ein französischer Reporter auf einem investigativen Onlineportal, dass der FIFA-Präsident sich vor Monaten eine Reihe von Privatinseln auf den nördlichen Mariannen gekauft habe und diese nun wohl für Hotelbauten teuer veräußern wolle. Die BBC in London meldet zeitgleich die ursprüngliche Tagesordnung mit dem Hunde-Spesenfonds, doch die eigentliche Quotendebatte im Fußball übertönt alles andere. Ein globaler Sturm der politischen Korrektheit entlädt sich, es werden große Bögen vom Frauenwahlrecht bis zur Fußballquote geschlagen, keiner traut sich, die Idee offiziell zu kritisieren, man könnte ja als frauenfeindlich gelten.
    Einzig Franz Beckenbauer murmelt beim Betreten der Schumann’s Bar in der Münchner Innenstadt in ein hingehaltenes Mikrofon von Radio Gong: »So ein Schmarrn!«
    »Wir brauchen ein Sondierungsgespräch mit Beckenbauer«, mahnt der Regierungssprecher an. »Sonst fällt der uns beim Gleichberechtigungsfußball in den Rücken.«
    Die Büroleiterin erwidert gelassen: »Wir sollten ein Treffen zwischen der Kanzlerin und ihrem Kandidaten arrangieren. Da können sie sich dann aussprechen.«
    »Ein Gipfel der Versöhnung! Wunderbare Idee. Ich kümmere mich drum.«
    Das Treffen zwischen Beckenbauer und der Kanzlerin wird von der Protokollabteilung minutiös vorbereitet. Es soll »privaten Charakter« haben, also nicht in Berlin stattfinden. Berlin ist schließlich die Stein gewordene Öffentlichkeit. Die Kanzlerin komme nach Bayern, ohne Gefolge, sie erweise Beckenbauers Heimat die Ehre, lässt der Regierungssprecher in Hintergrundrunden munter durchsickern. Und zwar dort, wo Bayern am bayerischsten ist: am Tegernsee. Der wahre Grund ist optischer Natur, bildet der Tegernsee doch eine grandiose Kulisse – »eine natürliche Fototapete«, wie der Regierungssprecher findet. Und schließlich soll es nur privat aussehen, ohne dies gleich zu sein. Fotografen dürfen kommen, sollen kommen – und sie kommen, 137 an der Zahl melden sich an.
    Von ihren Besuchen in Wildbad Kreuth kennt die Kanzlerin die Gegend, wo sich die CSU-Führung zur politischen Rudelbildung im Januarschnee trifft. Sie nennt es Klausurtagung, doch in Wahrheit geht es um die interne Festlegung der Hackordnung und das Röhren des Platzhirsches. Beckenbauer mag den Tegernsee, allerdings ist Hoeneß dorthin gezogen, was seine Zuneigung zum Bilderbuchtal etwas getrübt hat. Hoeneß hat sich in Bad Wiessee auf einer Alm eine Sicht gekauft, und ein Haus dazu. Dort trohnt er wie auf einer Kanzel weit über den Niederungen des Alltags und dirigiert den FC Bayern, das weite Land der Bundesliga, hinter dem Horizont gar den gesamten Weltfußball. Seither jedenfalls fühlt sich Beckenbauer am Tegernsee nicht mehr ganz so wohl. Geradezu beobachtet von oben, von dem, der immer nur unter ihm sein durfte. Aber da die Kanzlerin nun mal den Tegernsee vorgeschlagen hat, will er nicht widersprechen. So wichtig ist ihm Hoeneß nun auch wieder nicht, das hat er zeitlebens allen gesagt, und jetzt sagt er es sich selbst, schließlich steht er kurz davor, Bundespräsident zu werden.
    Von Salzburg kommt Beckenbauer mit seinem Privatauto herübergefahren. Die Kanzlerin fliegt per Hubschrauber ein, die Wanderschuhe hat sie schon an. Als Treffpunkt ist das Bräustüberl im Benediktinerkloster direkt am See auserkoren, wo seit 1000 Jahren Bier gebraut wird. Beckenbauer muss sich auf dem öffentlichen Touristenparkplatz ein Ticket ziehen und bekommt mit Glück noch einen Stellplatz neben einem Reisebus aus Koblenz, dem vierzig ältere Damen zeitlupenhaft, aber in Turnschuhen entsteigen. Beckenbauer hört den Hubschrauber anknattern, er hebt seinen rechten Fuß auf den Reifen seines Autos, bückt sich und zieht sich die Schnürsenkel seiner Stiefel noch einmal fest – schließlich soll er ja mit der Kanzlerin auf den Hausberg hinaufwandern. Das hat er schon einmal getan, damals mit Lothar Matthäus, als sie über Frauen und Finanzen gesprochen haben. Beckenbauer hat den Aufstieg als steil und anstrengend in Erinnerung und wundert sich, dass das Kanzleramt sie ausgerechnet dort hinaufschicken will.
    Auf dem Vorplatz des Klosters wartet eine Protokollbeamtin auf ihn. Hinter ihr die Hundertschaft Fotografen. Eine Gruppe Gymnasiasten kommt gerade aus der Schule, und einer, der ihn vor den Fotografen erkennt, ruft: »Hallo, Kaiser!«
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