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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel
Autoren: Wolfram Weimer
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privat zu Hause im Safe aufbewahrt und eben nicht im Amt.
    »Ich habe geliefert, was macht Ihre Story?«, quält der Kanzleramtschef den Regierungssprecher.
    »Sat.1 lässt sich auf keinen Deal ein. Denen könnten wir die Schließung von ARD und ZDF anbieten, die würden lieber die Story bringen.«
    »Das ZDF sollten wir in der kommenden Legislatur übrigens privatisieren. Was machen wir also?«
    »Wir erfinden die Geschichte, dass die Kanzlerin in den Monaten vor der WM alle deutschen Stadien heimlich besucht habe, weil ihr Fan-Herz so hoch schlage.«
    »Bescheuert, glaubt doch keiner, vor allem wenn man auf dem Video Schlägerszenen mit Frankfurter Ultras sieht.«
    »Wir könnten verbreiten, dass sie sich um die Sicherheitslage bei der WM so sehr persönlich gekümmert hätte, dass sie selber ein Stadion in Augenschein genommen habe.«
    »Und wie erklären wir den Mann?«
    »Ein Leibwächter!«
    »Ganz schlechtes Wording! Und außerdem kriminalisieren wir dann die echte Fanszene als Sicherheitsrisiko. Geht gar nicht!«
    »Wir decken die Nachricht mit einer außenpolitischen Entscheidung oder einer großen Personalie einfach zu. Die größere Nachricht verbrennt die kleinere.«
    »Das ist zumindest eine Eindämmungsstrategie. Haben Sie eine Idee?«
    »Wir könnten überraschend alle Banken verstaatlichen. Die werden von allen gehasst, und wir würden damit ganz nebenbei davon ablenken, dass wir die Schuldenkrise selber verursacht haben. So räumen wir vor der Wahl noch ein Thema ab.«
    »Mann, wir haben doch nur noch eine einzige Bank, die nicht irgendwie verstaatlicht ist, in Deutschland. Da fliegt der ganze Staatsfinanzenbluff doch auf! Und außerdem: Mitten hinein in die laufende WM – da dürfen wir nur noch positive Nachrichten produzieren.«
    »Sat.1 will die Bombe zum Halbfinale der WM platzen lassen?«, fragt der Regierungssprecher.
    »Genau!«
    »Hm, da ist die amerikanische Außenministerin zu Gast, die beiden könnten vielleicht ein Stück Weltpolitik aufführen.«
    »Ja! Das ist gut. Aber was genau?«
    »Der liberale Außenminister ist inzwischen unser Gegner, die Amerikaner wollen nach dem Afghanistan-Gipfel gar nichts mehr mit uns machen, und der Verteidigungsminister will am liebsten alles selber machen.«
    »Wir brauchen Vorschläge fürs Agenda-Setting, rasch.«
    Am folgenden Morgen trifft sich der engste Führungskreis bei der Kanzlerin.
    »Wir haben einen Vorschlag für das Agenda-Setting unseres Frankfurt-Konters.«
    »Na, denn lassen Se ma hör’n«, fordert die Kanzlerin ihren Amtschef auf.
    »Also. Deutschland und die USA verkünden zum Halbfinale die Einführung von Fußballmannschaften gemischter Geschlechter. Gender Mainstreaming im Sport. Kanzlerin und US-Außenministerin als glaubhafte Innovatorinnen.«
    »Meinen Sie das ernst?«, fragt eine verblüffte Kanzlerin.
    »Aber ja, die Koedukation in den Schulen war anfangs auch umstritten.«
    »Das will aber doch keiner!«
    »Darum geht es doch nicht, es geht um ein möglichst gewaltiges, massenkompatibles Thema, das eine so große Debatte auslöst, dass sie jede kleine Eskapade darunter vergessen macht.«
    »Aber in der Sache nimmt uns damit doch keiner ernst!«
    »Warum denn nicht? Die Geschlechteremanzipation erreicht eine neue Dimension. Wir brauchen endlich eine Frauenquote auch im Fußball. Diese letzte Bastion des Chauvinismus wird geschleift! Da traut sich niemand, Widerspruch zu äußern. Die politische Korrektheit wird uns in die Hände spielen.«
    Die Kanzlerin weiß die Macht der politischen Korrektheit seit Jahren für sich zu nutzen. Trotzdem murmelt sie nachdenklich:
    »Das könnte uns aber Sympathie kosten. Ich schleife doch nie etwas, sondern streichele es stattdessen so lange, bis es glatt wird.«
    »Na gut, dann mildern wir die Forderung etwas ab, aber im Prinzip ist das Thema wunderbar, und wir ziehen zugleich die Frauenkarte im Wahlkampf. Die Sozen haben doch wieder nur einen dickleibigen Kerl ohne Manieren aufgestellt.«
    Die amerikanische Außenministerin kommt tatsächlich zum Halbfinale Deutschland–USA. Die nach dem Afghanistan-Gipfel schwer belasteten Beziehungen sollen wieder entkrampft werden. Außerdem verfolgt die Außenministerin ihre eigene Agenda gegen den Präsidenten, und der hat die Afghanistan-Politik schließlich vermasselt. Entgegen der Empfehlung des Weißen Hauses reist sie also nach Berlin.
    Die Kanzlerin mag die Außenministerin, weil auch sie sich körperlich immer beherrschen muss und auch ihre
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