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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich
Autoren: James Ellroy
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Einwanderer war. Ihre Großeltern waren von den Türken ermordet worden, und die Horrorgeschichten, die ihre Eltern ihr über das Leben in Armenien erzählt hatten, hatten ihr Leben geprägt: Sie wollte dem Krieg ein Ende setzen, die Atombombe verbieten, die Rassendiskriminierung beenden und den Wohlstand umverteilen. Sie gab mir ein bißchen nach, indem sie sagte, ihrer Meinung nach wären Polypen notwendig, aber statt mit Pistolen sollten sie mit einer humanistischen Bildung und hohen Idealen ausgestattet sein. Sie fing an, mich zu mögen, deshalb brachte ich es nicht übers Herz, ihr zu sagen, sie wäre bekloppt. Ich fing auch an, sie zu mögen, und mein Blut kochte förmlich bei dem Gedanken an das Liebesspiel, das uns bevorstand.
    Ich schätzte ihre Aufrichtigkeit und fand, daß nur Offenheit einen Tauschhandel wert sei. Ich beschloß, sie nicht zu verscheißern: Vielleicht würde unsere Begegnung sie etwas realistischer machen.
    Das Lokal war eine billige italienische Kneipe, ein reiner Familienbetrieb, an der Wand die verblaßten Urlaubsplakate von Rom, Neapel, Parma und Capri, durchsetzt mit leeren Chianti-Flaschen, die an einer künstlichen Weinlaube hingen. Ich verzichtete auf den Fraß und bestellte einen großen Krug Chianti. Wir prosteten uns zu.
    »Auf das Ende aller Kriege«, sagte ich.
    »Glauben Sie das wirklich?«
    »Sicher. Bloß weil ich keine Plakate rumtrage oder großen Wind darum mache, heißt das noch lange nicht, daß ich ihn nicht hasse.«
    »Erzählen Sie mir, warum Sie gekniffen haben«, sagte Sarah sanft.
    Ich leerte mein Glas und goß mir noch eins ein. Sarah trank ihres schlückchenweise.
    »Ich bin Waise. Ich wuchs in einem Waisenhaus in Hollywood auf. Es war widerlich. Es war katholisch und wurde von ein paar sadistischen Nonnen geleitet. Das Essen war zum Kotzen. Während der Depression aßen wir nur Kartoffeln, wäßrigen Gemüseeintopf, Milchpulver gab’s, und Fleisch vielleicht einmal die Woche. Die Kinder waren alle mager und anämisch und hatten eine unreine Haut. Für mich war’s nicht gut genug. Ich konnte es nicht essen. Es machte mich so wütend, daß meine Haut schmerzte. Sie schickten uns in eine katholische Schule drüben auf der Western Avenue. Da gab’s das gleiche Spülwasser zum Mittagessen. Als ich ungefähr acht Jahre alt war, wußte ich, daß ich meinen Anspruch auf Männlichkeit verwirkt hätte, würde ich weiter diesen Abfall essen. Also fing ich an zu stehlen. Ich schlug in jedem Supermarkt in Hollywood zu. Ich stahl Sardinenbüchsen, Käse, Obst, Kekse, Kuchen, Milch - einfach alles. An den Wochenenden wurden die älteren Kinder bei wohlhabenden katholischen Familien untergebracht, damit sie ein bißchen vom guten Leben abbekämen. Ich wurde regelmäßig zu so einer Familie nach Beverly Hills geschickt. Die waren steinreich. Sie hatten einen Sohn, ungefähr in meinem Alter. Er war ein wilder Bursche und ein ausgezeichneter Ladendieb. Seine Spezialität waren Steaks. Wir taten uns zusammen und schlugen in jeder Metzgerei im Westen der Stadt zu. Er war dick wie ein Schwein. Er konnte nicht aufhören zu essen. Ein richtiges Michelin-Männchen.
    Während der Depression gab es so ’ne Art beweglichen Penner-Dschungel im Griffith Park. Die Cops machten regelmäßig Razzien und jagten die Penner davon, aber die kamen an einer anderen Stelle wieder zusammen. Ein Priester vom Kolleg ›Zum Unbefleckten Herzen‹ erzählte mir davon. Ich machte mich auf, sie zu suchen. Ich war ein neugieriger, einsamer Junge und dachte, Penner zu sein, wäre romantisch. Ich brachte eine Riesenmenge Steaks mit. Damit war ich der Star. Ich war groß genug, daß sich keiner mit mir anlegte. Ich hörte mir die Geschichten an, die die alten Penner erzählten - Räuber und Gendarm, Eisenbahnen und Pinkerton-Männer, Dunkelheit. Merkwürdige Dinge, von denen die meisten Leute keinen Schimmer hatten. Perversionen. Unaussprechliche Dinge. Ich wollte diese Dinge wissen - aber in sicherer Distanz bleiben.
    Eines Nachts brieten wir gerade Steaks und tranken Whiskey, den ich gestohlen hatte, als die Cops den Dschungel filzten. Ich machte mich aus dem Staub und entging ihnen. Ich konnte hören, wie die Cops die Penner raustrieben. Sie waren hart, aber nahmen das Ganze mit Humor; und ich wußte, daß wenn ich Polizist würde, könnte ich die Dunkelheit haben, und zugleich einen Schutz vor Strafe. Ich würde wissen, jedoch sicher sein.
    Dann kam der Krieg. Ich war siebzehn, als Pearl Harbor
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