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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee
Autoren: Stefanie Zweig
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Großen und Ganzen können wir mit unserem Leben zufrieden sein, vor allem, wenn wir bedenken, wie es anderen Menschen ergangen ist, die alles in Deutschland aufgeben mussten und die in der Emigration jahrelang sehr kümmerlich gelebt haben. Viele ältere Menschen sprechen nach all den Jahren nicht richtig Englisch. Auch unsere Anfänge waren schwer. Leon hat ziemlich alles gemacht, was ein Mann hier machen kann, der nach oben will und den Gott in sehr rascher Folge mit Kindern segnet. Er hat in einer Goldmine gearbeitet, auf drei Farmen, in einem Sägewerk und zwei Autowerkstätten. Zwei Jahre lang war er Mathematiklehrer an einer Privatschule (mit Examen nehmen sie es hier nicht so genau. Hauptsache, man kann, was verlangt wird). Heute ist er Manager im feinsten Hotel von Kapstadt. Sein Chef ist heilfroh, dass er sonntags da ist. Er verzeiht ihm, dass er erstens Jude ist und zweitens am Samstag nicht arbeitet.
    Ich habe in unseren Anfängen als Nanny bei englischen Familien gearbeitet. Die meisten haben ihre Kinder nach spartanischen Prinzipien erzogen, die mir heute noch auf den Magen schlagen, wenn ich daran denke. Leon und ich waren damals ständig voneinander getrennt. In meiner ersten Schwangerschaft war ich in Stellenbosch bei einem zweijährigen Mädchen, dessen Mutter es nie länger als vier Tage am Stück zu Hause gehalten hat. Sie ist mit dem Kind und mir, der es dauernd furchtbar übel war und die an jeden zweiten Baum auf der Strecke gekotzt hat, quer durch das Land gereist. Leon hat in der Zeit bei der Bahn in Pretoria gearbeitet, und ich habe jede freie Minute zum Heulen genutzt. Dagegen geht es uns heute prächtig.
    Leon verdient gut. Wir wohnen in einem Haus mit sieben Zimmern und zwei Badezimmern (was hierzulande nicht so viel besagt wie in Europa) und haben ein Auto, das groß genug für uns alle ist. Der Garten ist riesig und Personal billig. Wir könnten uns sogar eine Köchin leisten, doch ich koche lieber selbst, als einer Frau, die mich für völlig irrsinnig halten würde, beizubringen, was koscher heißt. Ich hätte den ganzen Tag Angst, dass sie Sahne ans Fleisch gießt oder die Hühnersuppe im Milchtopf kocht.
    Unsere Kinder sind wirklich gut geraten. Jedenfalls bis jetzt. David ist neun und kann schon fließend Hebräisch lesen, Aby ist mit seinen siebeneinhalb Jahren der Philosoph der Familie und liest alles, was ihm in die Hände fällt. Seiner Schwester erzählt er wunderbar fantasievolle Geschichten. Der sechsjährige Rafael, genannt Ralfi, wäre ganz nach Erwins Geschmack. Er kann sich den ganzen Tag mit einem Stück Papier und Buntstiften beschäftigen. Rachel, zweieinhalb, wird eine jüdische Prinzessin, und ihr Mann wird sie mit Diamanten behängen. Südafrika ist ja das Land der Diamanten. Die Buben fragen uns oft, weshalb sie keine Großeltern haben und andere Kinder zwei Großmütter und zwei Großväter. Sie vermissen auch Tanten, Onkel und gleichaltrige Cousins. Wir haben nicht gewagt, von Dir zu sprechen, bis wir von Dir hören, und wir finden sie zu jung, um ihnen von den Konzentrationslagern zu erzählen.
    Ich bin immer noch so glücklich mit Leon wie in der Zeit unserer ersten Liebe, als wir uns heimlich getroffen haben und uns auf einer Bank im Grüneburgpark küssten und von fernen Ländern träumten (was ja auch in Erfüllung ging, wenn auch anders als damals gedacht). Für eine Frau wie mich, die in einer so liberalen Familie aufgewachsen ist wie der Sternberg’schen und die nur in die Synagoge ging, um jungen Männern schöne Augen zu machen, ist es nicht immer leicht, mit einem orthodoxen Mann verheiratet zu sein. Der koschere Haushalt stört mich nicht, die strengen Sabbat- und Feiertagsgebote schon eher, und am wenigsten kann ich mich mit der Vorstellung abfinden, dass Kinder der Segen der Ehe sind. Ein bisschen weniger Segen hätte mir genügt. Mit der letzten Schwangerschaft habe ich mich schwergetan. Gebe Gott, dass es die letzte war!
    In einem halben Jahr hat Leon nämlich vier Monate am Stück Urlaub, und wenn nicht wieder ein Baby unterwegs ist, wollen wir mit sämtlichen Kindern nach Frankfurt kommen. Ja, du hast richtig gelesen! Leon sagt, wenn Gott seinen Kindern wenigstens eine Großmutter gelassen hat, dürfen wir weder die Kosten noch die Strapazen der Reise und auch nicht den Hunger in Deutschland scheuen. Durch seine Stellung im Hotel dürfte er günstig an Schiffspassagen kommen. Ich, die ich nicht beten gelernt habe, bete nun jeden Abend, dass
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