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Heimkehr der Vorfahren

Heimkehr der Vorfahren

Titel: Heimkehr der Vorfahren
Autoren: Eberhardt del'Antonio
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müßte ein Weilchen auf den Balkon gehen, dachte sie und trat zur Fensterfront. Lautlos schob sich der lange Kunststoffvorhang zur Seite. Eine Tür wurde sichtbar, sie glitt in die Wand, Vena lächelte flüchtig. Raigers Werk. Und praktisch war es auch, wenn man draußen frühstücken wollte und keine Hand frei hatte.
An die Balustrade gelehnt, blickte sie hinunter auf den Park. Sie liebte seine breit ausladenden Bäume, seine Spiel- und Sportplätze und das große Schwimmbassin. Die Kinder beherrschten den Tag mit fröhlichem Lärm. Jauchzen erklang aus den Raketengondeln, in denen sie zur Plattform eines Türmchens hinaufglitten, um an besonders gesicherten Fallschirmen zur Erde zurückzuschweben, Kreischen aus dem Schwimmbassin, wo eine Wasserschlacht geschlagen wurde, anfeuernde Rufe von einer Gruppe, die einem Ball nachjagte. Dazwischen der mahnende Ruf eines Vaters. Ein Säugling plärrte. In der Mitte des Parks stand auf schlanken Pfeilern der Klub des Wohnblocks. Seine weit vorgelagerten Balkons warfen ihren Schatten auf eine große Terrasse. Hinter den Wänden aus Glas und farbigen Kunststoffplatten lagen die Klubräume und Spielzimmer, Hörsäle und Sporthallen, die Säle für Tanz, Theater, Musik und Fernsehen und die Speiseräume, in denen man sich – soweit man das Kochen nicht als Liebhaberei betrieb – zum Mittagsmahl zusammenfand.
Weit dahinter, wo die Gebäude der Akademie den Park begrenzten, lag das Kybernetische Institut, ein breit ausladendes, mehrstöckiges Gebäude mit einer schlichten Fassade.
»Dort wartet die kybernetische Zukunft auf dich.«
Vena wandte sich um. »Raiger! Du weißt, daß ich dieses Anschleichen nicht leiden kann!«
»Du warst so versunken, daß du jeden Raketenstart überhört hättest.« Raiger lachte. »Muß ja ein süßer Traum gewesen sein. War er wenigstens blond?« Da bemerkte er, wie blaß sie war. »Was hast du?« fragte er, auf einmal besorgt.
»Es geht schon«, erwiderte sie abweisend. Er hob sie kurzerhand auf, obwohl sie sich wehrte, und trug sie zum Liegesessel.
»Der Archivar muß gleich kommen«, flüsterte sie. »Dort auf dem Schirm. Laß mich los!«
»Deshalb kannst du liegenbleiben – ich mach’ das schon.« Behutsam setzte er sie in den Sessel und kippte die Lehne zurück.
Vena sprang auf. Das fehlte noch. Raiger war imstande, die Luftfederung auf weich zu stellen und den elektronischen Nervenberuhiger zu holen. Wenn es sie betraf, war er rührend, dann vergaß er sogar seine Ironie – und das wollte viel heißen.
»Liegenbleiben!« rief er energisch.
Sie war froh, daß in diesem Augenblick der Archivar auf dem Bildschirm erschien. Raiger blieb außerhalb des Aufnahmebereichs der Kamera.
»Das wär’s für heute«, sagte der Archivar. »Bitte, wenn Sie noch mehr Material benötigen, rufen Sie mich daheim an. Ich wohne in der Nähe des Archivs.«
»Ich möchte Ihnen keine Umstände machen«, sagte Vena, »Ihre Kollegen…«
»Bitte wenden Sie sich auch weiterhin an mich, Sie wissen doch, mein Steckenpferd ist…«
»Gut. Besten Dank«, sagte Vena rasch, ehe er von der Astronautik sprechen konnte.
Als die Verbindung abgebrochen war, ging Raiger auf sie zu, faßte sie bei den Armen, hielt sie von sich und musterte sie kritisch. Er war groß und stämmig und überragte sie um Haupteslänge. Und wie er so vor ihr stand, hatte man das Gefühl, er könne sie mit gestreckten Armen mühelos hochheben. Sein Gesicht war lang und kantig. In den Augenwinkeln nistete der Spott, die Mundwinkel waren leicht herabgezogen.
»Wenn du auch überzeugt bist, den Stein der Weisen zu entdecken, so solltest du dich doch mehr schonen. Rationell arbeiten!« sagte er gönnerhaft. »Du bist schlank genug – falls es sich darum handelt. Außerdem, wer sollte diese hochwichtige Angelegenheit weiterführen, wenn du im Dienste der Wissenschaft zu Boden gehst? So schnell wirst du keinen finden, der die Schatten der Vergangenheit beschwört.«
Sie schwieg. Wie oft hatte sie versucht, ihm klarzumachen, daß die Erforschung der Vergangenheit Rückschlüsse auf Gegenwart und Zukunft ermöglichte und ernsthafte wissenschaftliche Arbeit war.
Sie wollte ihre Befähigung als Wissenschaftlerin des ersten Grades nachweisen. Der größere Teil ihrer Aufgabe war bereits gelöst, lediglich die Entwicklungsgeschichte der Kybernetik mußte sie noch schreiben. Von diesem Auftrag hing viel für sie ab. Der Forschungsrat vergab die interessantesten Arbeiten nur an Wissenschaftler des ersten Grades.
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