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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr
Autoren: Richard Bach
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Leben tappt, Richard, brauchst du nicht anzunehmen, daß er deswegen in jeder Hinsicht der Klügere ist oder alles besser machen kann. Sterblich oder unsterblich — das Wesen einer Person macht aus, was sie gelernt hat.
    Ich entfaltete den Flügel meines Drachens auf dem Berggipfel für den Start und schimpfte über hirnlose Engel, die sich in meine Vergangenheit einmischten. Als ich wieder hochblickte, waren der alte Ford und sein seltsamer Fahrer verschwunden.
    Ich betete darum, daß Shepherd sich einem Engel gemäß zurückgezogen und nicht versucht hatte, den steilen und kurvenreichen Weg hinunterzufahren. Wenn er wirklich die Straße genommen hatte, würde ich ihn bei der nächsten Fahrt bestimmt abseits des Weges in irgendwelchen Baumwipfeln wiederfinden.
    Die Gurte waren fest, Handschuhe hatte ich an, Schnallen und Helm waren überprüft und gesichert. Die anderen waren schon längst in den Lüften auf und davon und drei von ihnen in der Zwischenzeit schon wieder gelandet. Drei Flieger schwebten noch hoch oben, Schmetterlinge über dem Grün, die dem Aufwind nachjagten.
    Die Brise fehlte, um das Gleitsegel vor dem Start in den Wind zu stellen. Ich rannte auf den Abgrund zu, blickte
    prüfend zu dem großen Regenbogen über meinem Kopf hin, und dann lief ich weiter in die blaue Luft hinein.
    Dickie würde bestimmt liebend gern mit mir fliegen, dann könnte er begreifen, was wirklich wichtig im Leben war. Man strebt nach einer Leidenschaft, die einen ausfüllt. Ich lasse mein Bedürfnis nach Sicherheit links liegen, verliere die Erdenschwere und werfe mich der Luft in die Arme. Man vertraut ganz der Aerodynamik, den Aufwinden, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben.
    In diesem Moment eine Denkpause — den Schirm hatte ein Luftstrom erfaßt, und ich zog den rechten Griff herunter und drehte ein wenig, um in diesem Lüftchen zu verweilen. Der Regenbogen und ich hoben uns weich dem Himmel entgegen.
    Über die Hügel im Westen erhob sich die ferne Skyline von Seattle, ein leuchtender Smaragd im Sonnenlicht, und darüber die olympischen Berge unter Hüten von Schnee. Es hätte in diesem Moment für Dickie eine Menge zu sehen gegeben.
    Ein Falter tauchte rechts neben mir auf, schlug heftig mit den Flügeln und flog genauso schnell wie ich. Ich drehte mich zu ihm hin, und er flatterte weg, kehrte nach einem Moment wieder zurück, umschwirrte kurz meinen Helm und verschwand dann in südlicher Richtung.
    Waren es diese Dinge, die Dickie hätte wissen sollen? Er, der Schmetterlinge und Falter liebte und alles, was so in der Luft herumschwirrte? Wäre es wirklich interessant für ihn gewesen, daß der Falter in einer Höhe von zweitausend Fuß nach Süden geflogen war?
    Schließlich, so dachte ich, lebte das Kind, das ich einst gewesen, nicht in Shepherds Gedankenwelt, sondern in meiner eigenen. So wenig ich mich an meine Kindheit erinnerte, Dickie wußte alles. Wenn ich einen Weg fände, um ihn zu erreichen, würde ich viel von ihm lernen, und ich könnte ihn lehren, Irrtümer zu vermeiden.
    Der Aufwind erstarb, in wenigen Minuten würde Seattle wieder einmal hinter den Hügeln untertauchen. Der erste der Flieger, der vorhin gelandet war, stand schon wieder am Startplatz und beobachtete mich tief unter ihm, wie ich immer weiter nach unten glitt.
    Wenn ich hier, ganz entspannt in den Lüften, die Tür zwischen mir und dem Kind, das ich einst gewesen, öffnete – was würde dann geschehen? Es ist schon so lange her, daß ich mir Gedanken um diesen Burschen gemacht habe. Waren es Shepherd und sein Lügenbuch, die mich jetzt ins Grübeln brachten?
    Ich stellte mir in meiner Phantasie eine gutgesicherte Falltür zwischen mir und den Tiefen meiner Vergangenheit vor. Ich hob den schweren Holzverschlag und wuchtete ihn beiseite. Da unten herrschte tiefe Dunkelheit, und es war kalt, was mich überraschte. Vielleicht schlief er?
    »Dickie!« rief ich in mein Unterbewußtsein hinein. »Ich bin es, Richard. Es ist fast fünfzig Jahre her, seit wir uns gesehen haben, und ich wollte dir nur mal Guten Tag sagen.«
    Er lauerte im Halbdunkel, einen Flammenwerfer auf mich gerichtet. Sekunden später hatte sich der Ort in ein Flammenmeer verwandelt. »Hau ab!« schrie er, rasend vor Wut. »Hau ab, du jämmerlicher und egoistischer Erwachsener, ich will mit dir nichts zu tun haben! Ich will nicht so werden wie du! Hau ab, und komm nie mehr zurück! Laß mich gefälligst allein!«
    Ich schnappte nach Luft, zuckte zurück und warf
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