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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr
Autoren: Richard Bach
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versprochen hast, ein Buch für ihn zu schreiben?«
    Ihre Stimme klang so ruhig, daß ich sofort vermutete, sie würde gerade über einem neuen Thema brüten. Nichts, was heute passiert war, so dachte ich, sollte einen in Weltuntergangsstimmung versetzen. Der erschreckendste Teil – das Kind mit dem Flammenwerfer — hatte sich lediglich in meinem Bewußtsein abgespielt.
    »Sei nicht albern«, sagte ich zu ihr. »Wie sollte ich mich an solche Dinge erinnern?«
    »Tu es doch einfach, Richie. Stell dir vor, du bist wieder neun Jahre alt. Großmutter und Großvater Shaw sind bereits tot, Großmutter und Großvater Bach ebenso, und dein Bruder Bobby ist vor kurzem gestorben. Wer ist der nächste? Bist du dir sicher, daß es nicht dich trifft? Machst du dir keine Sorgen um die Zukunft? Was fühlst du?«
    Was wollte sie mir damit sagen? Sie weiß, daß ich mir keine Sorgen mache. Einer Bedrohung werde ich ausweichen, wenn ich kann. Ich packe die Dinge immer direkt an. Man kann entweder planen, was noch kommen soll, oder sich damit auseinandersetzen, was bereits eingetreten ist. Sich zu sorgen ist Zeitverschwendung.
    Aber um ihr einen Gefallen zu tun, schloß ich die Augen und drehte die Zeit zurück: Ich beobachtete den Neunjährigen und wußte, was er dachte.
    Ich fand ihn plötzlich frierend im Bett, die Augen fest geschlossen, die Fäuste geballt und ganz allein. Er war nicht beunruhigt, er hatte schreckliche Angst.
    »Wenn der blitzgescheite Bobby nicht älter als elf Jahre werden kann, dann habe ich auch keine Chance«, sagte ich dann zu Leslie. »Es macht zwar keinen Sinn, aber ich weiß, daß ich mit zehn Jahren sterben werde.«
    Was für ein seltsames Gefühl, wieder im Kinderzimmer zu sein. Das Doppelstockbett am Fenster, die obere Koje war nach Bobbys Tod geblieben, der weiße Schreibtisch aus Pinienholz, seine Oberfläche von Klebstoff und Kratzern ruiniert, Kometen aus Balsaholz und Papier hängen an Bindfäden von der Decke, bemalte Flugzeugmodelle aus solidem Holz stehen im Regal zwischen den Büchern, jedes hat stundenlange Arbeit verschlungen, und ich erkannte sie alle wieder: eine JU-88 Stuka in Braun, eine Piper in Gelb, eine Lockheed P-38, deren Heck bei einem unserer Starts abgebrochen war… ich hatte vergessen, daß es so viele kleine Flugzeuge in meiner Kindheit gab… dazu noch eine P-40 und eine FW-190 aus Metall, beide eher grob gearbeitet, sie standen auf dem Schreibtisch neben der mattschimmernden Lampe.
    »Schau in diesen Raum«, sagte ich zu Leslie. »Wieso kann ich mich so deutlich daran erinnern? Die ganzen Jahre hat er sich für mich in einem dichten Nebel befunden.«
    Oben am Schrank waren zwei Türen, und dahinter befanden sich, das wußte ich, bauschige Winter-Bettdecken, Cammie und Zeebie, das Monopoly-Spiel und das Ouija-Brett. Auf dem alten Flickenteppich mußte man sich sehr sachte bewegen, sonst rutschte man weg wie auf Eis.
    »Willst du mit ihm reden?« fragte Leslie.
    Fast unmerklich schüttelte ich den Kopf. »Ich will nur betrachten.« Was sollte mich eigentlich erschrecken, wenn ich mit ihm sprach?
    Er trug Jeans und ein langärmliges Flanellhemd, schwarze Vierecke auf rotem Grund, durchflochten mit gelben Streifen.
    Wie jung sein Gesicht war. Eine Reihe Sommersprossen zog sich von den Backenknochen quer über die Nase. Sein Haar war heller als meines, die Haut dunkler vom vielen Faulenzen in der Sonne. Das Gesicht breiter und runder, Tränen flossen aus den fest geschlossenen Augen. Ein hübsches Kind, zu Tode erschrocken.
    Mach weiter, Dickie, dachte ich, es wird schon alles gut werden.
    Plötzlich riß er die Augen auf und merkte, daß ich ihn beobachtete; und er öffnete den Mund, um zu schreien.
    Unwillkürlich floh ich in die Gegenwart zurück, und der Junge verschwand für mich zur gleichen Zeit, wie ich für ihn verschwunden sein mußte.
    »Hallo!« rief ich ihm noch zu. Aber es war zu spät.

6
     
    »Wieso hallo?« fragte Leslie überrascht. Ich konzentrierte mich auf die Gegenwart. »Er hat mich gesehen.«
    » Und was hat er gesagt?«
    »Nichts. Wir waren beide ziemlich erschrocken.« Ich dachte einen Moment nach. »Eine seltsame Sache.«
    »Und was wird jetzt aus ihm werden?«
    »Er wird sich bald wieder beruhigen. Er weiß nur nicht, was als nächstes kommt, und ist deshalb durcheinander.« Ich lächelte sie einen Moment lang aufmunternd an. »Es wird alles gutgehen. Er wird gut in der Schule sein, und er wird viele Dinge lernen: alles über Flugzeuge, Astronomie,
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