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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer
Autoren: Bruce Sterling
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mich«, antwortete sie. Beinahe stimmte es sogar. »Ansonsten wäre ich nicht gekommen.«
    »Ich habe ein passables Leben gehabt. Die Dreißiger, Vierziger ... für den größten Teil der Welt waren das furchtbare Jahre, dunkle, grauenvolle Jahre, aber für mich waren es gute Jahre. Ich habe hart gearbeitet, und ich wusste, dass die Arbeit sinnvoll war. Ich hatte das alles gewollt, die Karriere, einen Platz in der Welt, ich wollte etwas zu sagen haben und etwas bewirken ... Mag sein, ich war nicht glücklich, aber ich hatte zu tun, und das zählt eine Menge im Leben. Die Arbeit war schwer, und ich war froh darüber.«
    Er betrachtete das Foto, nachdenklich, versonnen. »Aber sieben Monate lang, im Jahr ‘22, in dem Jahr, als ich dieses Bild von dir aufnahm ... Also, zugegeben, unsere letzten beiden Monate waren ziemlich schlimm, aber fünf Monate lang, in den ersten fünf Monaten, als ich dich liebte und du mich und wir jung waren und das Leben noch neu - da war ich in Ekstase. Das war die wahrhaft glücklichste Zeit meines Lebens. Inzwischen weiß ich das.«
    Es schien ihr ratsam, einstweilen zu schweigen.
    »Ich war viermal verheiratet. Die Ehen waren nicht schlechter als die der meisten Leute, aber sie gingen mir nicht unter die Haut. Ich glaube, ich war wohl nicht mit dem Herzen dabei. Wenn man in der Situation steckt, meint man immer, Heirat sei eine gute Idee.«
    Er legte das Foto mit der Vorderseite nach oben aufs Bett. »Ich möchte dir nicht zu nahe treten«, sagte er, »aber dies alles in die richtige Perspektive zu rücken, stellt jetzt, da es zu Ende geht, ein wirklich großes Privileg für mich dar. Dass du hier bei mir bist, Mia, persönlich anwesend, dass ich dir dies alles offen ins Gesicht sagen kann, ohne falschen Stolz, ohne Groll, ohne Verstellung, weil es ja zwischen uns nichts mehr zu gewinnen oder zu verlieren gibt - das macht es mir wirklich leichter.«
    »Ich verstehe.« Sie stockte, streckte die Hand aus. »Darf ich?«
    Er erlaubte ihr, das Foto zu nehmen. Das Papier hinter dem Glas war neu - er hatte das Foto erst kürzlich ausgedruckt, aus einer alten Datei, die er all die Jahre über irgendwo verwahrt hatte. Die junge Frau, die auf irgendeinem Campusgelände stand, umgeben von kalifornischen Palmen und regenfleckigen Marmorbalustraden, wirkte unschuldig, erregt, ehrgeizig und flachbrüstig.
    Mia musterte die Frau eingehend, empfand jedoch anstelle des zu erwartenden Gefühls von Identität nichts als Leere. Sie und das Mädchen auf dem Foto hatten die gleiche Augenfarbe, die mehr oder weniger gleichen Wangenknochen, in etwa das gleiche Kinn. Es kam ihr vor wie DAS Foto ihrer eigenen Großmutter.
    Die Wirkung des Mnemos setzte allmählich ein. Die Droge hob nicht ihre Stimmung, sondern reicherte das Leben ganz allmählich mit geheimnisvoller symbolischer Bedeutung an. Sie hatte das Gefühl, in das Foto hineinzufallen und mit einem Klatschen darin zu landen.
    Seine Stimme rief sie in die Gegenwart zurück. »Warst du glücklich mit deinem Ehemann?«
    »Ja. Ich war glücklich.« Sie pellte sich umständlich das verbrauchte Pflaster vom Hals. »Das ist jetzt schon lange her, aber es hat viele Jahre gehalten, und solange Daniel und ich ein Paar waren, war mein Leben sehr ausgefüllt und authentisch. Wir hatten ein Kind.«
    »Das freut mich für dich.« Er lächelte wieder, und diesmal erkannte sie sein Lächeln wieder. »Du siehst gut aus, Mia. Ganz die Alte.«
    »Ich hatte sehr viel Glück. Und ich war immer vorsichtig.«
    Er blickte kummervoll aus dem Fenster. »Es hat dir kein Glück gebracht, dass du mich kennen lerntest«, sagte er, »und du hattest Recht damit, vorsichtig zu sein.«
    »Das solltest du nicht sagen. Ich bedaure nichts.« Voller Widerwillen reichte sie ihm das Foto, als händigte sie ihm ein Unterpfand aus. »Unsere Trennung war schlimm, ich weiß, aber ich habe stets deine Arbeit verfolgt. Du warst klug, du warst sehr kreativ. Du hattest niemals Angst, deine Meinung zu sagen. Ich war nicht immer mit dir einer Meinung, aber ich war stets stolz auf dich. Ich war stolz darauf, dass ich dich schon kannte, bevor du berühmt wurdest.« Das stimmte. Sie war so alt, dass sie sich noch an eine Zeit erinnerte, da man diese Arbeit als ›Filmemachen‹ bezeichnet hatte. Filme - lange, hell und dunkel gemusterte Plastikstreifen. Der Gedanke an den Film, an die Beschaffenheit seines Mediums, löste eine Wehmut bei ihr aus, die so schmerzhaft war wie Glasscherben.
    Er ließ nicht
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