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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer
Autoren: Bruce Sterling
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setzen sie Himmel und Erde für dich in Bewegung. Aber wenn du so lebst wie ich in den vergangenen sechsundneunzig Jahren ... Hast du dir meine Akte angesehen, Mia? Ich habe viel getrunken.« Er lachte. »Was bliebe einem noch ohne Alkohol?«
    Ein Leben ohne Leberzirrhose, Magengeschwüre und kumulative Nervenschäden, dachte Mia.
    »Die Politas. Die globale Politas, das ist, als würde die Regierung von deiner eigenen Großmutter geleitet. Von einer klugen, freundlichen, kleinen alten Dame mit einem Teller voller Gebäck und einem Henkerbeil.«
    Mia schwieg. Ihr eigenes Behandlungsbudget belief sich auf achtundneunzig Prozent. Die Politas war eine Regierung, geleitet von und gedacht für Menschen wie sie.
    »Martin, erzähl mir von dem Palast. Wie komme ich hinein?«
    Er ergriff ihre Hand, drehte sie um und musterte die Handfläche. Er fuhr mit der Fingerspitze darüber, als berühre er einen Touchscreen. Mia stand jetzt ganz unter der Wirkung des Mnemos und meinte, in der Berührung der welken Hand einen Widerklang der erotischen Erregung zu spüren, die sie vor vielen Jahren einmal ausgelöst hatte. Die Berührung des Geliebten, aufgeladen von jugendlicher Leidenschaft.
    Er ließ ihre Hand los. »Kannst du dir die Berührung merken?«
    »Ich werde sie mir merken. Das Mnemo wird mir dabei helfen.« Sie musste sich zusammennehmen, sonst hätte sie das Handgelenk, das er berührt hatte, nervös gerieben. »Ich mag diese alten Gestensysteme, früher habe ich sie auch ständig benutzt.«
    Er reichte ihr die Steuertafel. »Hier. Programmiere den Palast auf deinen Daumenabdruck. Nein, die Linke, Mia. Die ist nicht so gut bekannt.«
    Sie zögerte. »Weshalb sollte das wichtig sein?«
    »Ich habe dir soeben den Schlüssel zu einer Festung gegeben. Wir beide haben ein Recht auf Privatsphäre, meinst du nicht?
    Wir wissen, wie das Leben heutzutage ist. Menschen wie du und ich, wir sind viel älter als die Regierung. Und trotzdem können wir uns nicht daran erinnern, dass eine Regierung jemals ehrlich gewesen wäre.«
    Sie presste den linken Daumen auf die Tafel. »Ich danke dir, Martin. Ich weiß, dein Palast ist ein sehr kostbares Geschenk.«
    »Kostbarer, als dir bewusst ist. Er kann dir auch in anderer Hinsicht nützen.«
    »Wovon redest du?«
    »Von meinem Hund.«
    Sie sagte nichts.
    »Du willst den armen Plato nicht«, meinte er niedergeschlagen.
    Sie schwieg.
    Er seufzte. »Ich hätte ihn wohl verkaufen sollen«, sagte er. »Aber die Vorstellung war mir zuwider. Das käme mir vor, als verkaufte ich ein Kind. Ich habe nie ein Kind gehabt ... Er hat so viel gelitten um meinetwillen und so viele Verwandlungen durchgemacht ... Ich habe mir alle durch den Kopf gehen lassen, aber es kam keiner infrage ... von den wenigen, die von denen, die ich als meine Freunde bezeichne, noch am Leben sind ... Ich traue einfach keinem von ihnen zu, dass er sich gut um Plato kümmert.«
    »Warum gerade ich? Du kennst mich doch kaum mehr.«
    »Selbstverständlich kenne ich dich«, murmelte er. »Ich weiß, du bist sehr umsichtig ... Du warst der größte Fehler, den ich je begangen habe. Oder der größte Fehler, den ich nicht begangen habe. Das Bedauern ist beidesmal gleich.« Er sah flehentlich zu ihr auf. »Plato stellt keine großen Ansprüche. Er wäre dankbar für alles, was du ihm gibst. Er braucht jemanden. Ich weiß nicht, was er nach meinem Tod anfangen wird. Er ist so klug, und das Denken strengt ihn sehr an.«
    »Martin, es schmeichelt mir, dass du an mich gedacht hast, aber das ist zu viel verlangt. Das darfst du nicht von mir erwarten.«
    »Ich weiß, es ist viel verlangt. Aber der Palast wird dir helfen, es gibt dort sehr nützliche Hilfsmittel. Willst du es nicht eine Zeit lang mit ihm versuchen? Er ist kein bloßes Tier mehr. Diesen Luxus habe ich ihm nicht gestattet. Du könntest es doch mal probieren, meinst du nicht?« Er stockte. »Mia, ich kenne dich. Ich habe deine Akte gelesen, und ich weiß mehr über dich, als du meinst. Ich habe dich niemals vergessen. Außerdem glaube ich, dass Plato dir helfen könnte.«
    Sie schwieg. Sie hatte Herzklopfen und ein Klingeln im linken Ohr. In Momenten wie diesem wurde ihr mit unerbittlicher Klarheit bewusst, dass sie wirklich alt war.
    »Er ist kein Ungeheuer. Er ist bloß anders, sehr weit entwickelt. Er ist sehr wertvoll. Wenn du ihn nicht erträgst, verkaufst du ihn.«
    »Ich kann nicht! Ich will nicht!«
    »Ich verstehe. Ist das dein letztes Wort?« Das Schweigen war voller
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