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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen
Autoren: Wolfgang Burger
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stecken.«
    Die Überprüfung der Hausaufgaben ersparte ich mir. Ich hatte keine Lust auf weiteren Erziehungsstress. Ich freute mich auf einen ruhigen Abend. Theresa hatte mir einige Bücher ausgeliehen, unter anderem »Die Entdeckung der Langsamkeit« von Sten Nadolny. Ich mochte es, aber heute gab ich schon nach wenigen Seiten auf. Das üppige Essen machte mich müde. So hörte ich mit geschlossenen Augen noch ein wenig Musik, Keith Jarrets »At the Blue Note«, und ging bald schlafen. Aus dem Zimmer der Mädchen hörte ich Gekicher. Ein Lämpchen im Flur zeigte an, dass sie schon wieder telefonierten. Mir graute vor der nächsten Rechnung. Demnächst würden wir einen zweiten Anschluss brauchen, wenn ich überhaupt noch telefonisch erreichbar sein wollte.
     
    Die Reue kam nicht am nächsten Morgen, sondern schon um Viertel nach eins. Nach kaum zwei Stunden Schlaf erwachte ich schweißgebadet und fühlte mich wie der Wolf, nachdem er das siebte Geißlein gefressen hat. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Die Schuld dafür gab ich Vanessa Kriegel und ihrem Tunichtgut von Ehemann. Früher hatte ich über Menschen gespottet, die nach einem üppigen Abendessen nicht schlafen konnten. Eines der Zipperlein alter Leute. Auch nach einer großen Pizza abends um elf hatte ich zuverlässig geschlafen wie ein Murmeltierbaby. Heute war das offenbar nicht mehr so. Ich mochte nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. So wälzte ich mich im Bett und dachte stattdessen an all die Dinge, die ich morgen im Büro erledigen musste. Der Stapel mit den unerledigten Sachen auf meinem Schreibtisch wurde immer höher statt niedriger, und wenn Sönnchen, meine unersetzliche Sekretärin, nicht auf mich aufgepasst hätte, dann wäre mir schon mehr als ein Mal ein wichtiger Termin durch die Lappen gegangen.
    Erst spät fiel ich erneut in einen unruhigen Schlaf, in dessen Träumen Berge von Gyros, Pommes und ketschupverschmierte Kleinkinder durcheinander wirbelten. Um zehn nach halb vier schreckte mich das Telefon aus dem Schlaf.
    Am Schluß hatte ich wie so oft in letzter Zeit von Theresa geträumt. Ich musste sie morgen unbedingt anrufen, um sie zu besänftigen und vor allen Dingen herauszufinden, was sie mir eigentlich vorwarf.
    Wenn mein Telefon zwischen neun Uhr abends und sieben Uhr morgens klingelt, dann bedeutet dies in aller Regel eine Katastrophe. Nicht für mich, sondern für irgendjemanden dort draußen, eine Ehefrau vielleicht, einen Mann, eine Mutter, ein Kind. Für jemanden, der urplötzlich allein ist auf der Welt, weil ein anderer einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.
    Natürlich gehörte es nicht zu meinen Aufgaben als Kripochef, mir nachts im Regen an Tatorten die Beine in den Bauch zu stehen, mehr oder weniger ansehnliche Leichen zu betrachten und den ewig schlecht gelaunten Kollegen von der Spurensicherung bei ihrer sterbenslangweiligen Tätigkeit zuzusehen. Aber ich hatte mir angewöhnt, zumindest am Anfang dabei zu sein, mir ein eigenes Bild zu machen. Ich hasste Schreibtischarbeit seit jeher, und wenn man nicht aufpasst, dann kennt man als Chef bald nichts anderes mehr als das viele trockene Papier auf seinem Tisch.
    Liebekind hatte sich stirnrunzelnd damit abgefunden, dass ich es nicht lassen konnte, mich in die Arbeit meiner Untergebenen einzumischen. Vermutlich baute er darauf, dass ich irgendwann von alleine vernünftig oder doch wenigstens faul werden würde.
    »Männliche Leiche im Schleusenbecken am Karlstor«, erklärte mir eine mürrische Stimme aus der Telefonzentrale der Polizeidirektion. Mehr wusste zu diesem Zeitpunkt niemand. Kriminaldauerdienst und Spurensicherung waren unterwegs, der Notarzt alarmiert.
    Fünfzehn Minuten nach dem Anruf steuerte ich meinen guten alten Peugeot-Kombi durch das ausgestorbene Heidelberg. Der Wagen war fast auf den Tag genau drei Monate älter als meine Töchter, und besonders humorvolle Kollegen hatten ihn früher gerne als Pampers-Bomber bezeichnet. Ein böiger Wind ließ die Straßenlaternen schaukeln, der Asphalt glänzte feucht. Ich fühlte mich zerschlagen und fror. Schon von ferne sah ich die Blaulichter am Straßenrand.
    Klara Vangelis war natürlich schon da, als ich ankam. Sie musste ja immer und überall die Erste sein. Sven Balke kam Minuten später fast gleichzeitig mit dem Notarztwagen auf einem Mountainbike, das sicherlich mehr wert war als mein Auto. Er sah verschlafen und ungekämmt aus. Meine Töchter hatten mich erst kürzlich darüber aufgeklärt,
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