Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
dass man dies heute nicht mehr als ungepflegt bezeichnete, sondern als »Out-of-bed-Look«.
    Die Kollegen vom Kriminaldauerdienst hatten die Leiche des übergewichtigen Mannes schon aus dem Wasser gefischt und am betonierten Rand des südlichen Schleusenbeckens neben einem der Poller abgelegt. Die Pfütze um den Leichnam herum wurde rasch größer. Die Beamten der Spurensicherung zupften gähnend an dem Körper herum. Sie waren zu zweit und hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit Dick und Doof.
    Es roch nach Tang und Teer. Irgendwo im Dunkeln toste der Hochwasser führende Neckar über die Wehre in die Tiefe. In der Schwärze unter uns gluckste es tückisch, Wellen klatschten gegen die Mauern. Eine rote Ampel für Schiffe und die zuckenden Blaulichter erhellten die Szenerie.
    »Wer hat ihn gefunden?«, fragte ich einen glasig dreinblickenden Uniformierten. Stumm wies er auf ein verschüchtertes Pärchen im Hintergrund, das sich Hilfe und Wärme suchend aneinander klammerte. Das Mädchen mochte fünfzehn, höchstens sechzehn sein, der schlaksige Junge knapp volljährig. Ihre Augen wirkten, als stünden sie unter einer milden Droge. Vielleicht war es auch nur der Schock.
    Viel zu erzählen hatten die beiden nicht. Guck mal, da schwimmt ’ne Wasserleiche, hatte sie kichernd zu ihrem Liebsten gesagt und erst nach Sekunden begriffen, wie gründlich ihr Scherz misslungen war.
    »Der Mann ist vorläufig nicht zu identifizieren«, erklärte mir Doof, der eine Spurensicherer, und wischte sich die Hände an der Hose trocken. »Keine Papiere, nichts, woraus man auf seine Identität schließen könnte. Alter auf den ersten Blick zwischen vierzig und fünfzig, Hände gepflegt, kein Ehering, Kleidung Mittelklasse, Typ Junggeselle.«
    »Am Jackett fehlt ein Knopf«, ergänzte Dick. »Der ist vermutlich noch nicht lange ab.«
    »Seit wann ist er tot?«, fragte Vangelis.
    Ich schätzte sie als zuverlässige und intelligente Mitarbeiterin, mochte sie aber nicht besonders, weil sie in meinen Augen zu ehrgeizig war. Und sie konnte mich noch weniger leiden, weil sie gehofft hatte, an meiner Stelle Kripochefin zu werden. Im Großen und Ganzen kamen wir miteinander klar, nur die rechte Herzenswärme wollte sich zwischen uns nicht einstellen.
    Der Arzt, ein junger Kerl mit athletischer Figur und offenbar unverwüstlicher Laune, trat hinzu. »Der Körper hat exakt Wassertemperatur«, erklärte er mit breitem Lächeln, während seine Hände die zahllosen Taschen seines Sanitäter-Anzugs absuchten. »Die Totenstarre ist schon fast wieder verschwunden. Mindestens vierundzwanzig Stunden, würde ich sagen, eher sogar länger.«
    »Was meinen Sie mit Typ Junggeselle?«, wollte Balke wissen.
    Doof machte ein schmatzendes Geräusch und sah an Vangelis vorbei auf die erleuchtete Altstadt. »Gucken Sie doch hin: Lila Hemd zu auberginenfarbenem Jackett! Wenn ich meiner Frau so unter die Augen kommen würde, die würde am nächsten Morgen zu ihrer Mutter ziehen.«
    Der eklig feuchte Ostwind aus dem Neckartal durchdrang selbst meinen Wollmantel. Man spürte, dass der Winter noch lange nicht zu Ende war. Der Januar war zu warm gewesen, sodass die Zeitungen wieder einmal über den Treibhauseffekt und den drohenden Weltuntergang philosophierten. In den letzten Tagen war das Wetter umgeschlagen, jetzt sollte es sogar Schnee geben. Irgendwo klapperte ein Rettungsring im Wind gegen seine Halterung. Hin und wieder erhellte ein Blitzlicht die Szene. Die Leiche wurde fotografiert.
    Inzwischen war mir lausekalt, und ich suchte einen unverdächtigen Grund, mich wieder in mein Bett zurückziehen zu dürfen. Aber auf keinen Fall würde ich vor Vangelis gehen. Die schien jedoch nicht einmal zu frieren in ihrem makellosen Kostüm. Diese Frau wurde mir immer unheimlicher. Balkes Laune hingegen verschlechterte sich rapide. Er sah immer öfter auf die Uhr. Endlich klappten die Spurensicherer ihre Metallkoffer zu. Schlösser schnappten als Zeichen zum Aufbruch.
    Ein Fiat fuhr mit viel zu hohem Tempo die südliche Uferstraße hinauf. Als er die vielen Blaulichter am Straßenrand bemerkte, trat der Fahrer so hart auf die Bremse, dass er um ein Haar ins Schleudern gekommen wäre.
    »Der Anzug?« Balke schlug die Arme um den Oberkörper.
    »C & A«, brummte Dick. »Können wir ihn dann wegschaffen lassen?«
    »Augenblick noch!«, mischte sich Vangelis ein. »Die Todesursache?«
    Die Kollegen wechselten amüsierte Blicke mit dem Arzt, der sich inzwischen eine filterlose Zigarette
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher