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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen
Autoren: Wolfgang Burger
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gelitten im Wasser. Die Kollegen in der Kriminaltechnik versuchen gerade, ihn wieder lesbar zu machen. Und dann war in der Innentasche des Jacketts noch eine Viererkarte der Straßenbahn. Zwei Fahrten sind abgestempelt. Beide vor über einer Woche.« Sie sah auf. »Kein Portmonee, keine Schlüssel, absolut nichts, was uns einen Hinweis auf seine Identität geben könnte.«
    »Außer dem Bon von dieser Tankstelle«, sagte ich langsam. »Haben die heute nicht alle Überwachungskameras? Die Bänder sollten wir uns vielleicht mal ansehen. Da müsste er ja drauf sein.«
    Ich weiß nicht, warum mir genau in diesem Augenblick das Schlosshotel in Heinsheim einfiel, wo Sören Kriegel in seiner Todesnacht ein Zimmer gemietet haben sollte. Mosbach lag auf dem Weg dorthin.
    »Die Tankstelle übernehme ich«, erklärte ich kurz entschlossen. Ich brauchte unbedingt frische Luft. Den Papierkram konnte ich ebenso gut am Nachmittag erledigen.

3
    Während der Fahrt fing es wieder an zu regnen. Der Wind war stärker geworden, und bald lief der Scheibenwischer auf Hochtouren. Schon hinter Ziegelhausen musste ich das Licht einschalten. Östlich von Eberbach wurde das Tal offener, die Straße breiter, und ich konnte ein wenig schneller fahren. Versuchsweise wählte ich Theresas Nummer. Aber ihr Handy war immer noch ausgeschaltet.
    Eine Weile behinderte mich ein langsam fahrender Lkw, der erst kurz vor Mosbach nach Obrigheim abbog, um vermutlich beim dortigen Kernkraftwerk, das seit einigen Monaten im Zuge des Atomausstiegs stillgelegt war, seine Fracht abzuladen.
    Kurze Zeit später verließ auch ich die Bundesstraße und überquerte die Brücke. Die Aral-Tankstelle, wo unsere unbekannte Wasserleiche vor ziemlich genau sechzig Stunden Halt gemacht hatte, befand sich rechts, wenige hundert Meter vor dem Ortseingang. Ich parkte im überdachten Bereich und betrat das Gebäude, das man früher Kassenhäuschen genannt hätte, das aber, wie heute üblich, ein mittlerer Supermarkt war. Kaffeeduft empfing mich.
    Ich musste einige Minuten warten, bis ich an der Reihe war. Vor mir stand eine stramme Kastanienbraune, die sich von ihren drei lautstark um Süßigkeiten bettelnden Kindern nicht aus der Ruhe bringen ließ. Es gab ein Problem mit ihrer EC-Karte. Als sie endlich bezahlt hatte und mit ihrem quengelnden Tross abgezogen war, erklärte ich dem südländisch aussehenden jungen Mann an der Kasse mein Anliegen und zeigte ihm die technisch aufgebesserte Kopie des Kassenzettels aus den Taschen unseres unbekannten Toten.
    »Stimmt, der ist von uns.« Er gab mir das Papier zurück. »Zweiter Februar, das war vorgestern.«
    »Wenn ich richtig lese, nachts gegen halb zwölf. Waren Sie zu dieser Zeit zufällig hier?«
    Grinsend schüttelte er den Kopf. »Die Nachtschicht macht immer der Egon. Der ist Rentner und kann nachts sowieso nicht schlafen. Da ist auch nicht so viel los hier.«
    »Könnte ich Ihren Kollegen sprechen? Vielleicht kann er sich ja an den Kunden erinnern.«
    Er grinste immer noch. »Vergessen Sie’s. Egon erinnert sich nie an irgendwas. Ist schon über siebzig. Aber zuverlässig und relativ ehrlich.«
    »Ich habe gesehen, Sie haben Videokameras da draußen. Könnte ich mir das entsprechende Band anschauen?«
    »Klar.« Er griff nach einem Handy, das neben der Kasse lag. »Muss aber den Chef holen. Da hat nur er den Schlüssel.«
    »Ist im Anmarsch«, erklärte er wenig später. »Dauert ein paar Minuten. Wohnt ganz in der Nähe.«
    Die Uhr zeigte Viertel nach elf. Draußen rauschte der Regen, und es war inzwischen so dunkel, als begänne demnächst Egons Schicht. Ich zählte ein paar Münzen auf den Tisch und bestellte einen doppelten Espresso.
    Der Besitzer der Tankstelle sah aus wie ein alter Weinbauer, dem das Herumkraxeln auf den steilen Neckarhängen zu mühselig geworden war. Sein Gesicht war wettergegerbt, die Hände schwielig und mit schwarzen Rändern an den Nägeln. Stumm und mit beängstigender Kraft drückte er meine Hand.
    Nachdem auch er einen langen Blick darauf geworfen hatte, reichte er mir das Papier wortlos zurück. Dann sah er eine Weile mit tausendfach gerunzelter Stirn auf einen Kalender an der Wand. Dort tat eine Blondine so, als machte es ihr Spaß, sich unbekleidet auf der Motorhaube eines Ferrari zu räkeln. Vielleicht hatte er das Februar-Foto noch nicht gesehen. Schließlich winkte mir der alte Mann im ölverschmierten Blaumann, ihm zu folgen. Seine knappe Geste ließ mich vermuten, dass er einen gut
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