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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen
Autoren: Wolfgang Burger
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erzogenen Hund hatte.
    Weder er noch sein Angestellter wunderte sich im Geringsten darüber, dass die Polizei sich für die Überwachungsbänder der Tankstelle interessierte. Durch eine Tür am Ende des Zeitschriftenregals betraten wir einen überraschend großen Raum. Neonröhren flackerten sirrend auf. Es stank nach Lösungsmittel und Räucherwurst. In einem weiß lackierten Stahlregal an der linken Wand standen zwei Videorekorder übereinander. Daneben etwa zwanzig durchnummerierte Kassetten. Mit sicherem Griff wählte er eine aus, schob sie in den Schlitz des unteren Geräts und ließ die Kassette vorspulen.
    Da ich den Zeitpunkt anhand des Kassenzettels genau kannte, dauerte es nicht einmal fünf Minuten, dann sah ich unsere Wasserleiche in lebendigem Zustand aus einem weißen, nicht mehr ganz neuen Mercedes der S-Klasse steigen. Das Kennzeichen war gut zu erkennen. Am unteren Rand des Bilds lief die Uhrzeit mit. Die Aufnahme war zeitlich stark gerafft, die Kamera machte nur alle zwei Sekunden ein Bild. So tankte der Unbekannte mit Slapstickgeschwindigkeit, verschwand für Augenblicke und stieg wieder ein.
    »Spulen Sie bitte nochmal zurück?«
    Ich hatte mich nicht getäuscht: Sekunden, nachdem der Mercedes an der Zapfsäule gehalten hatte, kam am oberen Bildrand ein anderes Fahrzeug zum Stehen. Der Fahrer hatte die Scheinwerfer ausgeschaltet, bevor der Wagen ins Sichtfeld der Kamera kam. Sobald der Mercedes verschwunden war, flammten auch die Lichter des anderen Autos wieder auf, und es fuhr ebenfalls davon. Leider waren weder Typ noch Kennzeichen zu erkennen.
    »Dürfte ich das Band mitnehmen? Sie bekommen natürlich eine Quittung.«
    Gleichmütig hob mein Begleiter die Schultern und drückte den Eject-Knopf.
    »Was hat er angestellt?«, fragte er, als er mir die Kassette in die Hand drückte. Es waren die ersten Worte, die ich von ihm hörte. Sein Atem roch nach schwarzem Tabak und Kräuterlikör. »Hat er einen umgebracht?«
    »Im Gegenteil. Möglicherweise hat man ihn umgebracht.«
    »Ach was«, brummte er, als würden täglich Kunden seiner Tankstelle gewaltsam ums Leben kommen.
    Ich warf die Videokassette auf den Beifahrersitz und gab das Kennzeichen des Mercedes per Handy nach Heidelberg durch. Bald war ich wieder auf der Bundesstraße in Richtung Süden unterwegs. Der Regen hatte nicht nachgelassen. Meine Scheibenwischer arbeiteten wütend gegen die Wassermassen an.
    Aus den Zwölf-Uhr-Nachrichten im Radio erfuhr ich, dass einer der beiden flüchtigen Gewalttäter inzwischen wieder hinter Gittern saß. Er hatte sich nach wenigen Kilometern im Geräteschuppen eines Winzers versteckt und frierend gewartet, bis ihn jemand fand. Es war derjenige, der seine armen Nachbarn zerstückelt hatte. Laut Aussage eines Arztes hatte der Mann einen IQ am Rande der Schwachsinnigkeit, und war offenbar nur geflohen, weil sein Zimmergenosse es ihm vorgemacht hatte. Der zweite Ausbrecher war dagegen wesentlich intelligenter und befand sich nach wie vor auf der Flucht. In der Nacht des Ausbruchs war in der Nähe von Weinsberg ein hellblauer Rover verschwunden, und die Heilbronner Kollegen vermuteten, er sei mit diesem Fahrzeug unterwegs.
    Fürs Wochenende versprach der Wetterbericht Aufheiterung.
    Eine Viertelstunde später stellte ich meinen Peugeot vor dem Eingang des Schlosshotels Heinsheim ab. Bis auf einen roten Golf war der Parkplatz leer, anscheinend herrschte derzeit nicht viel Betrieb. Ich lief wenige Meter durch den Sturzregen und betrat das von warmem Licht beleuchtete Entree des großen, zweigeschossigen Schlossgebäudes. Man hatte gut geheizt, gediegene alte Möbel verbreiteten Behaglichkeit. Selbst eine Ritterrüstung fehlte nicht. An der Rezeption studierte eine schmale dunkelhaarige Frau mittleren Alters handbeschriebene Formulare und tippte hin und wieder etwas in ihren Computer. Sie nahm ihre zierliche Brille ab und strahlte mich mit jener professionellen Herzenswärme an, die man als Gast eines teuren Hotels erwarten kann.
    Beim Anblick meines Dienstausweises schaltete sie ihr Lächeln zwei Stufen herunter.
    »Kriminalpolizei?« Verwundert reichte sie mir das Kärtchen zurück. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Nichts Aufregendes. Ich würde nur gerne wissen, ob im Juli letzten Jahres ein bestimmter Gast hier übernachtet hat.« Ich nannte ihr Namen und Datum. Ihr Parfüm war eine Nuance zu aufdringlich für ihre zerbrechlich wirkende Figur.
    »Fünfter auf sechster Juli, sagen Sie?« Offensichtlich war
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