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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen
Autoren: Wolfgang Burger
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den Jungen wurde in der Küche ein Kleinkinder-Menü aufgewärmt, das seine Mutter aus ihrer Kunstleder-Handtasche genestelt hatte. Sie selbst wählte nach langem Überlegen das Billigste, was die Karte hergab: Gyros mit Gemüsereis.
    »Ich werde es Ihnen später bezahlen«, murmelte sie verlegen. »Mein Portmonee liegt im Auto.«
    Mit überschäumender Herzenswärme und weiteren Streicheleinheiten wurde Björns Essen serviert. Püriertes Hühnchen mit Karotte.
    »Was war denn eigentlich das Ziel Ihrer Reise?«, fragte ich, während sie voller Konzentration ihren Sohn fütterte. »Wenn Sie gar nicht nach Heidelberg wollten?«
    Vergnügt quietschend versuchte der zappelnde Kleine, seiner Mutter den Löffel aus der Hand zu schlagen.
    »Ich habe es doch schon gesagt.« Wie alle Menschen, die ein Baby füttern, sperrte auch Vanessa Kriegel den Mund auf und schloss ihn wieder, während sie den Löffel zwischen Björns Lippen schob. »Es geht um meinen Mann.«
    Eine sehenswerte dunkeläugige Bedienung, vermutlich eine Tochter des Hauses, stellte uns zwei Portionen Krautsalat hin und konnte es natürlich nicht lassen, dabei Björns Hinterkopf zu tätscheln, was dieser mit einem nährstoffhaltigen Pruster quittierte.
    »Was ist mit Ihrem Mann?«
    »Er hatte einen Verkehrsunfall, letzten Sommer.«
    Sören Kriegel war im letzten Juli auf der Bundesstraße zwischen Mosbach und Eberbach tödlich verunglückt, erfuhr ich.
    »Und da wollte ich heute hinfahren. Ich muss wissen, wie das passiert ist. Was er da gewollt hat.«
    »Und was tun Sie dann hier, in Heidelberg?«
    Geduldig reinigte sie Gesicht und Hände des Kindes mit einer Papierserviette. Das Essen kam. Die noch nicht angerührten Salatschüsselchen wurden zur Seite gerückt, zwei dampfende und köstlich riechende Teller vor uns hingestellt. Große Teller mit Bergen von Essen darauf. Ich bestellte mir ein zweites Glas Athos. Wenn ich schon sündigte, dann sollte sich die Reue morgen früh wenigstens lohnen.
    »Es ist kompliziert.« Endlich ließ sie von dem Kind ab, wandte sich mir zu und sah auf den Kragen meiner Jacke. »Sie sind bei der Polizei?«
    Vanessa Kriegel machte sich an ihr Gyros, als hätte sie seit Tagen gehungert. Erst als der Teller halb leer war, hielt sie plötzlich inne und sah wieder auf.
    »Sie können gerne meinen Ouzo haben«, sagte sie kauend. »Ich trinke keinen Alkohol.«
    Dankend nahm ich an. Die Reue würde fürchterlich werden.
    »Wenn Sie Polizist sind, vielleicht können Sie mir ja helfen? Ich meine … Sie sind so nett zu uns und …« Langsam nahmen ihre Wangen wieder Farbe an.
    »Ich kann es versuchen.« Ich lächelte sie aufmunternd an. Mit dem ärgsten Hunger verschwand allmählich auch meine miserable Laune. »War denn irgendwas nicht in Ordnung mit diesem Unfall?«
    In Gedanken schüttelte sie den Kopf. »Sören war damals beruflich unterwegs. Nach Saarbrücken, hat er gesagt. Er sollte da irgendwelche Verhandlungen führen für die Firma, wo er gearbeitet hat.«
    Mit konzentrierten Bewegungen steckte sie einen großen Bissen in den Mund. Björn brabbelte vor sich hin und hantierte mit dem Löffel, den die Mutter ihm zum Spielen überlassen hatte.
    Das Essen schmeckte mir wie schon lange nichts mehr. Vor allem die würzigen Lammkoteletts mit Thymian hatten es mir angetan. Endlich fühlte ich mich wieder als Mensch. »Und weiter?«
    »Irgendetwas stimmt da nicht. Ich habe es erst vor ein paar Tagen gemerkt. Da, wo Sören verunglückt ist, geht es überhaupt nicht nach Saarbrücken. Das ist die ganz falsche Richtung. Und außerdem ist er mitten in der Nacht verunglückt, und um diese Zeit hätte er doch im Hotel sein sollen, in Saarbrücken, und nicht am Neckar herumfahren. Erst wollte ich es nicht glauben. Aber dann habe ich das Hotel angerufen, wo er übernachten wollte. Und, stellen Sie sich vor, er hatte gar kein Zimmer reserviert!« Zum ersten Mal sah sie mir direkt ins Gesicht.
    »Das ist ja wirklich merkwürdig. Was war Ihr Mann von Beruf?«
    »Er hat Computerprogramme entwickelt. Für irgendwelche Geräte.«
    »Was für Geräte?«
    Sie senkte den Blick. »Ich weiß es nicht genau. Ich verstehe nichts von Technik.«
    Ich nippte an meinem Athos.
    »Sind Sie verheiratet?«, fragte sie unvermittelt und sah wieder auf.
    Ich schluckte. »Ich war. Meine Frau ist auch gestorben.«
    »Ja«, sagte sie ernst nickend. »Es ist schlimm. Vor allem, wenn man Kinder hat.«
    Plötzlich hatte auch ich keine Lust mehr auf Essen. Ich legte das
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