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Hebt die Titanic

Hebt die Titanic

Titel: Hebt die Titanic
Autoren: Clive Cussler
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auf die Waffe hinunter und wieder in das Gesicht des Mannes. In einer anderen Situation hätte er vielleicht an Widerstand gedacht. Aber nicht jetzt – nicht hier, wo ohnehin Sicherheit und Ordnung im Chaos einer wahnsinnigen Panik zu zerbrechen begannen.
    »Ich kann es nur versuchen«, sagte der junge Offizier in dumpfer Resignation.
    »Dann tun Sie es!« Die Stimme des Passagiers wurde lauter, schärfer. »Und machen Sie keinen Unsinn. Ich bin immer dicht hinter Ihnen. Eine falsche Bewegung, und Sie brauchen sich nicht mehr um irgendein Rettungsboot zu kümmern.« Er schob die Pistole in seine Jackentasche und hielt die Mündung an den Rücken des Offiziers gepreßt. Ohne Schwierigkeiten konnten sie sich ihren Weg noch durch die Menge bahnen, die jetzt bereits das Bootsdeck zu füllen begann. Die Atmosphäre hatte sich schlagartig verändert. Es gab keine Passagiere verschiedener Klassen mehr: nur noch Menschen voller Todesfurcht. Die Stewards bewahrten als einzige Gelassenheit, während sie die weißen Schwimmwesten verteilten. Die Notsignale der Leuchtraketen zischten empor, aber sie schimmelten schwach und wirkungslos in der Dunkelheit und Weite der Nacht. Nur die Szenen an Deck erhellten die Leuchtraketen mit unwirklicher, blitzlichtartiger Grellheit: Männer, die mit gespielter Ruhe und Hoffnungsfreudigkeit ihre Frauen und Kinder in die Rettungsboote hoben – Abschiedsworte, Umarmungen und letzte Küsse. Die gespenstische Unwirklichkeit dieser Szenen wurde noch verstärkt vom Aufmarsch der achtköpfigen Bordkapelle, deren Schwimmwesten einen grotesken Kontrast zu den Instrumenten schufen. Es war ein makaber-komisches Schauspiel, als die Kapelle jetzt Irving Berlins Alexander’s Ragtime Band zu spielen begann und die forcierte Fröhlichkeit der Melodie so lächerlich und leer in der Unermeßlichkeit des Meeres verhallte. Vom drohenden Druck der Pistolenmündung vorwärtsgetrieben, drängte sich der Schiffsoffizier durch das Gewimmel der Passagiere, die immer hastiger zu den Rettungsbooten emporstrebten. Die Neigung zum Bug hinunter wurde jetzt spürbarer. Treppab fiel es den beiden schwerer, die Balance zu halten.
    Am B-Deck holten sie einen Aufzug und fuhren zum D-Deck hinunter.
    Der Offizier warf einen schnellen Blick über die Schulter auf den Mann, dem er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Einen Moment trafen sich ihre Augen, und das flackernde Glimmen des Wahnsinns wurde für kurze Zeit von einer Regung des Mitleids gedämpft.
    »Machen Sie sich keine Sorgen…«
    »Bigalow, Sir.«
    »Keine Bange, Bigalow. Sie schaffen es schon noch, bevor der Kasten untergeht.«
    »In welche Abteilung der Laderäume wollen Sie?«
    »Die Tresorkammer in Abteilung eins, G-Deck.«
    »Das G-Deck ist bestimmt schon überflutet.«
    »Darüber werden wir uns an Ort und Stelle informieren.« Er machte eine auffordernde Geste mit der Waffe in seiner Jackentasche, als die Lifttüren aufglitten. Sie traten auf den Gang hinaus und bahnten sich ihren Weg durch eine immer wilder dahinhastende Menge. Schreie, Rufe, Flüche ringsumher. Von Angst und Panik verzerrte Gesichter, und alle nur von einem Gedanken vorwärtsgetrieben: nach oben nach oben heraus aus dieser riesigen Grabkammer aus Eisen und Stahl. Das Menschengewimmel lichtete sich, als die beiden die zum E-Deck führende Treppe erreichten.
    Sie blieben stehen und starrten auf die Flut hinunter, die tückisch langsam die Stufen emporschwemmte. Unter Wasser brannten noch einige Lichter in gespenstisch grünlichem Schimmer. »Es hat keinen Sinn«, sagte der Offizier mit erzwungener Ruhe. »Sie sehen ja selbst.«
    »Gibt es keinen anderen Weg?«
    »Die wasserdichten Türen sind gleich nach dem Zusammenstoß geschlossen worden. Wir könnten es die Notleitern hinunter versuchen.«
    »Also weiter.« Es wurde zu einem Wettlauf gegen die steigende Flut: durch ein Labyrinth enger Gänge und Stahltunnel, die unter ihren Schritten hallenden Sprossen der Notleitern hinab in die Tiefe. Bigalow wandte sich am Fuß einer Leiter zur Seite, hob einen runden Lukendeckel und spähte durch die Öffnung.
    Überraschenderweise stand das Wasser unten im Ladedeck nur knietief.
    »Hoffnungslos«, log er. »Es ist überflutet.« Der Passagier schob ihn mit der freien Hand beiseite und spähte selbst hinunter.
    »Für meine Zwecke ist es noch trocken genug«, sagte er und machte mit der Pistole, die er jetzt nicht mehr verborgen halten mußte, eine gebieterische Geste. »Gehen Sie voran.« Die
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