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Heaven (German Edition)

Heaven (German Edition)

Titel: Heaven (German Edition)
Autoren: Alexandra Adornetto
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wusste ich, dass mein Vater ihm helfen würde. Er würde uns jetzt nicht im Stich lassen. Aber wenn ich mich irrte …? Selbst in meinem körperlosen Zustand spürte ich Panik. Was, wenn ich schon zu spät war? Was, wenn ich zurückkam und Xavier schon fort war, verloren in dem verzweifelten Wunsch, bei mir zu sein? Dann wäre alles umsonst gewesen. Ich wäre ohne ihn auf der Erde gefangen, verdammt zu einem Leben voller Einsamkeit. Xavier hingegen wäre im Himmel, wo ich ihn nie mehr finden würde. Dann wäre er für immer vor mir verborgen.
    Ich musste mich zusammenreißen. Als Josef sich bereiterklärt hatte, mir zu helfen, hatte ich mir vorgestellt, dass ich in Lichtgeschwindigkeit zur Erde reisen würde. Nicht im Entferntesten hatte ich geahnt, dass die Reise so lange dauern würde. Ich glaubte schon, sie würde niemals enden, als ich unter mir plötzlich Umrisse wahrnahm, grüne Flächen, dann zerklüftete Gebirgszüge – es war, als würde ich eine topographische Karte von oben betrachten. Meine Reisegeschwindigkeit verlangsamte sich, und auch ich begann, wieder Formen anzunehmen. Die einzelnen Teile, die mich ausmachten, setzten sich zusammen. Die Konturen meiner Glieder wurden sichtbar. Das Warten schien ein Ende zu haben, bald schon würde ich mit Xavier vereint sein.
    Gleich darauf fand ich mich auf den Knien im weichen Gras am Rande eines üppigen Gartens wieder.
    Ein flammendes Schwert, das rotierte, um alle vier irdischen Himmelsrichtungen abzudecken, bewachte den Eingang. Instinktiv begriff ich, wo ich war. Alles hier war paradiesisch: Über mir breitete sich blauer Himmel aus, Blütenduft lag in der Luft, und die Äste der Bäume hingen voll mit reifen Früchten. Mitten im Garten aber stand der wundervollste von allen. Seine knotigen Äste schienen sich nach mir auszustrecken wie hundert Arme, seine Früchte leuchteten wie rosafarbene Kugeln. Warum war ich hier? Ich hatte mir kaum die Frage gestellt, als ich auch schon die Antwort wusste: Dieser Ort stand am Scheideweg meiner Reise. Noch konnte ich meinen Entschluss rückgängig machen. Hinter mir lag der ewige Frieden des Himmels. Wollte ich ihn noch? Die Lichtsäulen, die mich getragen hatten, schwebten noch in der Luft und warteten auf meine Entscheidung. Wenn ich mich jetzt abwendete, würde mein altes Leben für immer Vergangenheit sein, und nichts würde je wieder einfach und klar sein. Vor mir lag das irdische Leben mit all seinen Prüfungen: eine harte und steinige Straße, die aber auch voller Belohnungen steckte. Ich warf einen letzten Blick auf das Licht, das in der milchigen Atmosphäre waberte, bevor ich mich zitternd erhob und zögernd einen Schritt in Richtung Garten machte. Dann war ich von Dunkelheit umhüllt.

    Als ich wieder zu mir kam, verspürte ich starke Schmerzen. Ich wusste, dass ich an einem Strand war, weil ich das Rauschen des Meeres hörte und Salz auf meinen rauen Lippen schmeckte. Mein Haar hing an mir herunter wie wirres Seegras. Die Kleidung, die ich als Engel getragen hatte, war fort, stattdessen umhüllte mich ein dünnes weißes Kleid, das von der Reise zerrissen und schmutzig war. Aus irgendeinem Grund konnte ich nicht richtig sehen, und es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, dass mein Gesicht genau wie meine Arme in eine Art Kokon gehüllt war, der wie ein Film auf mir lag. In der salzigen Luft löste er sich langsam auf, und am liebsten hätte ich den Rest mit den Fingernägeln weggekratzt. Doch auch die kleinste Bewegung verursachte mir solche Schmerzen, dass ich nichts tun konnte, als einfach abzuwarten. Dies war kein überirdischer Schmerz, er ging tiefer. Es war, als ob alle meine Muskeln und Knochen versuchten, sich nach einer gigantischen Operation wieder zusammenzufügen. Ich kam mir vor wie Ton, der darauf wartete, gebrannt zu werden. Meine Muskeln waren noch beweglich und mein Blut warm. Doch jeden Moment, so kam es mir vor, konnte ich in dem nassen Sand zerfließen. Ich war mir nur noch einer einzigen Sache sicher: Nichts war mehr wie vorher.
    Ich versuchte die Augen zu öffnen. Als es mir schließlich gelang, sah ich im Sand einen goldenen Schimmer. Es war Engelsblut – mein Blut. Wie viel davon hatte ich verloren? War ich überhaupt noch stark genug, um zu laufen? War dies der paralytische Zustand, vor dem mich Josef gewarnt hatte? Ich wusste nicht, wie es weitergehen würde, und mir wurde bewusst, wie unvorbereitet ich in all das hineingerauscht war. Ich hatte es so eilig gehabt, den Himmel zu
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