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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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trampelte bereits unermüdlich auf dem Flur entlang. Ihm war schmerzlich bewusst geworden, dass mittlerweile neben der heimischen auch die überregionale Presse ein gesteigertes Interesse an dem Verbrechen zeigte und somit die Nervosität einiger honoriger Stadtbewohner wohl von Stunde zu Stunde wachsen würde. Um die hitzigen Journalistengemüter, insbesondere die der einheimischen Märkischen Allgemeinen, zu besänftigen und deren Eigeninitiative etwas zu bremsen, hatte Claasen ihnen für fünfzehn Uhr, also in gut einer Stunde, eine Pressekonferenz versprochen. Bis dahin musste er aber seinen Hauptkommissar noch gehörig ausquetschen, denn er selbst hatte kaum eigene Informationen zu dem Fall.
    „Ach Manzetti, da sind Sie ja endlich. Kommen Sie schnell und bringen Sie genügend Ermittlungsergebnisse mit.“ Claasen mimte wie immer, wenn er etwas wollte, den treu sorgenden und zu Scherzen neigenden Vorgesetzten. Manzetti legte dieses Verhalten immer in der Schublade „allzu durchsichtige Pläsanterie“ ab.
    „Ich möchte Sie nicht enttäuschen, aber ich glaube, dass ich Ihre hohen Erwartungen nicht erfüllen kann.“ Manzetti zog skeptisch die Stirn kraus. Claasen schien sich zu sehr für den Fall zu interessieren. Das war verdächtig.
    Der Direktor schaute verblüfft zu seinem Hauptkommissar, winkte mit der rechten Hand ab und entgegnete ihm nun ohne jeden spaßhaften Unterton: „Manzetti, was soll das heißen? Wir müssen jetzt Nägel mit Köpfen machen. Die Presse zerreißt mich, und die Stadtoberen werfen meine Überbleibsel dann gleich den Fischen zum Fraß vor. Also hurtig, wenn ich bitten darf, setzen Sie mich ins Bild.“ Er ließ sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch fallen, öffnete sein weißes Sakko und faltete die Hände über der polierten Platte aus Kirschbaumholz. Wie immer lagen keinerlei Papiere darauf, nur ein silberner Brieföffner und ein passender Kugelschreiber.
    „Auf dem Bild, in das ich Sie versetzen könnte, ist leider noch nicht viel zu erkennen, Herr Direktor.“ Manzetti begann bewusst distanziert. „Ich kann Ihnen nicht viel mehr sagen als das, was Sie sicherlich schon aus dem Tatortbefundbericht kennen.“
    „Reden Sie nicht so ein Zeugs“, unterbrach Claasen aufgeregt und mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Ich habe wichtigere Dinge zu tun, als irgendwelche Zwischenberichte der Ihnen Unterstellten zu lesen. Also, was ist nun? Ihr Wissen ist gefragt.“
    „Der Bericht ist von mir selbst unterschrieben, Herr Direktor.“ Damit versuchte Manzetti, seinen Chef auf dessen Unkenntnis der Arbeitsabläufe hinzuweisen und ihm wenigstens ansatzweise ein schlechtes Gewissen einzuhauchen. Das war natürlich wie immer vergebliche Müh.
    „Ja, ja. Aber das ist doch nun egal. Was stand also in Ihrem Bericht?“ Claasen machte nicht den Eindruck, als ließe er sich durch Manzettis Bemerkung erschüttern, und seine Körpersprache war wie eingefroren. Seine Hände lagen schon lange wieder gefaltet auf der Tischplatte.
    „Wir wissen noch nicht, wer der Tote war. Wir wissen lediglich, dass er gewaltsam aus dem Leben befördert wurde.“ Dann berichtete Manzetti von dem, was er und seine Leute am Fundort der Leiche vorgefunden hatten. Er ließ nichts aus, auch nicht, dass sie eigentlich noch völlig im Dunkeln tappten.
    Claasen ging erstaunlich leicht und salopp darüber hinweg. „Gut. Wir wissen also auch noch nicht, ob er überhaupt ermordet wurde oder ob wir hier lediglich das Ergebnis eines tragischen Unglücksfalles haben“, fasste er Manzettis Worte zu einer sehr persönlichen Interpretation zusammen.
    „Das habe ich jetzt nicht verstanden, Herr Direktor.“ Manzettis Verwunderung war unübersehbar. Er kratzte sich an der Schläfe.
    „Das glaube ich Ihnen gerne“, antwortete Claasen und löste sich aus seiner Körperstarre. Er hob die Hände zu einer staatsmännischen Geste, indem er sie Manzetti entgegenstreckte, ganz so, als reiche er ihm die folgende Lebensweisheit auf einem goldenen Tablett. „Wir haben nicht nur den Auftrag, Verbrechen aufzuklären. Wir, und dazu zählen auch Sie, haben vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, und der sollten wir uns immer, ich sage ausdrücklich immer, bewusst sein, bei allem, was wir tun.“
    Claasen befand sich jetzt in seinem Element, und Manzetti wusste nur zu gut, dass der Direktor durch nichts und niemanden zu bremsen war. Der erste vernünftige Satz war frühestens in fünf bis sechs Minuten zu erwarten, und
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