Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
Vom Netzwerk:
Verbrechen fatale Folgen für den Tourismus unserer Stadt haben. Mord und Totschlag, wer kommt dann noch zu uns? Lassen Sie uns beten, dass es nicht so kommt.“ Die letzte Aufforderung klang seltsam aus dem Munde des Atheisten Ole Claasen, der eine Kirche bislang nur betreten hatte, um sich mit der hohen Gesellschaft der Stadt dort zu irgendeinem Event zu treffen, und dem bis dato nicht ganz klar war, warum der Papst nicht das Oberhaupt aller Christen war.
    Manzetti dachte über Claasens Bemerkung noch auf der Treppe nach, die ihn nach unten zu seinem Büro führte. Dort wurde er schon sehnsüchtig erwartet. Sonja hielt einen Stoß Papiere in der Hand und trat auf der Stelle, ganz so, als müsse sie dringend zur Toilette.
    „Was hast du?“, fragte er, ohne dabei stehen zu bleiben.
    „Ich werde in diesem Haus noch verrückt, Andrea“, quengelte sie, unterstützt von einem bitteren Gesichtsausdruck.
    „Da wärst du nicht die Erste, der das passiert. Also brauchst du dir darauf nichts einbilden.“ Manzetti verkniff sich das schelmische Grinsen nicht, auch wenn ihm der Claasenvortrag noch immer sauer aufstieß.
    „Du verstehst mich nicht. Ich werde wirklich bald verrückt. Die aus der Fahndungsabteilung haben mir nämlich erklärt, dass sie Feierabend hätten und ich morgen wiederkommen solle. Schließlich handele es sich nicht um einen Menschen, der in Gefahr sei. Sie sagten einfach, dass keine Eile bestünde, weil er ja schon tot …“ Sonja unterbrach sich mit einem Seitenblick auf Manzettis Hand, die plötzlich auf ihrer Schulter ruhte, um sie zu beruhigen.
    „Reg dich nicht auf. Das lohnt nicht. Du kannst die Kollegen ja doch nicht ändern.“
    „Aber es geht um Mord. Wenn das nicht eilbedürftig ist, dann weiß ich nicht, was dringender wäre.“
    „Es geht noch nicht um Mord, jedenfalls nicht offiziell, und damit bekommen die Fahndungsleute wahrscheinlich auch noch Rückendeckung von Claasen.“ Manzettis Augen blickten durch seine Kollegin hindurch. Er griff zur Klinke an seiner Bürotür.
    „Bist du jetzt auch schon verrückt geworden?“ Sonja lehnte sich an die Wand.
    „Nein“, sagte er entschieden. „Keine Angst, aber lass es vorerst dabei bewenden. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus.“ Er betrat sein Büro und ließ Sonja verdutzt auf dem Flur zurück.
    Drei Stunden später hatte er den Schreibkram endlich fertig und machte sich auf den Weg nach Hause. Entgegen seiner Gewohnheit nahm er nicht die Straßenbahn, sondern schlenderte durch den Theaterpark, vorbei an der kleinen Sportbootschleuse, und passierte die Jacobstraße in Höhe des Steintorturms, um anschließend am Stadtkanal entlangzulaufen. Er nutzte die Zeit, um noch einmal über die Bemerkungen seines Vorgesetzten nachzudenken.
    Zu Hause empfing ihn lautes Geschrei, und zwei seiner drei Frauen stürmten auch gleich auf ihn zu. Sie erschienen ihm ziemlich aufgelöst.
    „Hallo, Paps. Ich muss unbedingt mit dir reden. Es ist ganz wichtig.“ Lara, mittlerweile zumindest äußerlich eine werdende Dame, hatte sich entschlossen vor ihm aufgebaut, wurde aber sogleich von der Jüngeren, Paola, die hinter ihrer Schwester lauerte, mit beiden Händen zur Seite geschoben.
    „Guten Tag, Papa. Es ist an der Zeit, dass du endlich kommst.“ Manzetti bückte sich und hob seine fünfjährige Tochter auf den Arm.
    Es amüsierte ihn, wie sie sich seit etwa drei Wochen bemühte, Hochdeutsch zu sprechen, und kaum mehr Endungen verschluckte. Es war unschwer zu erkennen, dass sie dabei auf den Sprachschatz ihrer Eltern zurückgriff. So komisch das bisweilen klang, es nahm ihr doch ein wenig die Kindlichkeit.
    All die Mühe der Kleinen, sich größer zu machen, wozu auch eine betont gerade Sitzhaltung gehörte, hatte, so jedenfalls erklärte es ihm seine Frau, wohl mit einem Sechsjährigen zu tun, der neu in ihre Kindergartengruppe gekommen war. Sein Name war Alex von Buren, was seine guten Manieren erklären könnte, und er war der Hahn im Korb. So war es zu erklären, dass Paola mit ihrer besten Freundin Lisa nicht mehr redete und dass zwei Lippenstifte aus dem Bad verschwunden waren.
    „Meine Damen, wir reden beim Essen. Einverstanden?“
    Beide schüttelten den Kopf.
    „Na gut. Dann eine nach der anderen. Heute dem Alter nach, die Jüngste fängt an.“
    Paola folgte ihrem Vater mit großen Schritten. Ihre braunen Locken wippten bei jeder Bewegung, und die Hände stemmte sie siegesgewiss in die Hüften. Das Bild entbehrte nicht einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher