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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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bis dahin würden sich Hinweise und Belehrungen ablösen, möglichst lange den Ruf der Stadt, also die positive Selbstdarstellung des Bürgermeisters zu schützen. Wie konnte er diesen unnützen Redeschwall abwenden?
    „Aber Dr. Bremer war der Meinung, dass die Schnittverletzung von einem scharfen Messer verursacht worden ist, und schloss Suizid ausdrücklich aus.“ Manzetti streute den Hinweis schnell in eine Atempause Claasens und hoffte nun, dass dessen Belehrungsorgie vielleicht doch ein früheres Ende finden würde.
    Der Direktor erhob sich, schaute seinen Ermittler strafend an und begann, an seinem Schreibtisch vorbei vom Fenster bis zur gegenüberliegenden Wand zu schreiten, wobei er seine Hände sogar auf dem Rücken verschränkt hielt. „Und Bremer kann sich nicht auch einmal irren?“, fragte er, während seine Lippen sich zu einem schmalen Strich verengten.
    „Das tut er eigentlich nie, Herr Direktor“, verteidigte Manzetti den Rechtsmediziner.
    „Sagen wir es so“, fuhr Claasen unerschütterlich fort und blieb stehen. „Die Schnittverletzung kann doch auch von der Schraube eines Motorbootes stammen.“ Dabei fuhr er sich mit der rechten Handkante über den Kehlkopf. „Das wäre sicherlich auch sehr tragisch, aber leider nur ein Unfall.“
    Manzetti hatte längst bemerkt, wohin Claasen zielte und wehrte sich mit Händen und Füßen. „Bremer sprach von einem Messer, nicht von einer Schiffsschraube.“
    „Haben Sie ihn explizit nach einer Bootsschraube gefragt?“, stocherte Claasen weiter.
    „Nein, aber … er hätte es mir gesagt, sofern nur diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen wäre.“ Manzetti rief sich die Aufzählung Bremers ins Gedächtnis, die bei einem Skalpell geendet hatte. Ihn regte die Argumentation seines Vorgesetzten sehr auf, denn er hatte Bremer auch nicht nach einem Hai oder einem Seeungeheuer gefragt. Was sollte das hier eigentlich?
    „Und, mein lieber Manzetti“, der Direktor befand sich längst wieder auf dem Weg zum Fenster. Er machte dabei einen vergnügten Eindruck, was vermutlich auch damit zusammenhing, dass er nicht einmal ahnte, was sein Hauptkommissar über ihn dachte.
    „Was sage ich Ihnen immer wieder? Akribisch gründlich müssen Sie sein“, mahnte der Direktor nunmehr theatralisch. „Akribie ist eine der deutschesten Tugenden, Manzetti. Also fragen Sie diesen Bremer nach der Schiffsschraube, und vorher möchte ich keine anderslautenden Äußerungen in der Presse lesen.“
    Plötzlich blieb Claasen erschrocken stehen und schob den linken Ärmel seines Sakkos zurück. „Die Presse. Ich hatte ja zu drei Uhr eingeladen. Also weiter, und zwar hurtig, wenn ich bitten darf.“
    „Mehr haben wir nicht, Herr Direktor“, sagte Manzetti, der längst resigniert hatte.
    Claasen wehrte mit der rechten Hand ab. „Unterbrechen Sie mich doch nicht. Hören Sie lieber zu.“ Dann ließ er seiner unheilvollen Fantasie wieder freien Lauf. „Der Mann war betrunken, hat im Fontaneclub das eine oder andere Glas zu viel in sich hineingeschüttet, ist auf der Promenade ins Straucheln gekommen und schließlich in die Havel gefallen. Den weiteren Fortgang kennen wir.“ Wieder richtete Claasen seine Augen auf Manzetti und nestelte dabei mit zwei Fingern an seinem Einstecktuch herum.
    „Ihr kriminalistischer Weitblick ist immer wieder frappierend, Herr Direktor.“ Manzetti flüchtete sich in beißenden Sarkasmus. Wie bei einem Tennisspiel bewegte er den Kopf von links nach rechts und wieder zurück, um dem Fußmarsch des Direktors zu folgen. „Aber der Tote hatte nur null Komma zwei Promille im Blut, und es konnten auch keine Gifte nachgewiesen werden. Außerdem war er bis zu seinem Tod kerngesund.“ Manzetti war allerdings davon überzeugt, dass auch diese Argumente am Direktor abprallen würden. Dennoch äußerte er sie, denn das war er Bremer und dessen Arbeit schuldig.
    „Trotzdem“, erklärte Claasen wie erwartet. „Wir bleiben bei der möglichen Unfalltheorie, und wenn sich herausstellt, dass er wirklich Opfer eines Verbrechens wurde, dann bin ich der Erste, der vor die versammelte Presse tritt und verkündet, dass ich mich geirrt habe und Sie dem richtigen Pfad folgten.“
    Manzetti hatte keine Zweifel, dass Claasen sein Versprechen halten würde. Er würde den Irrtum vor den Journalisten zugeben. Nur würden die Pronomen „ich“ und „Sie“ ihren Platz in seinem Wortgebilde tauschen müssen.
    „Und sollten Sie Recht behalten, Manzetti, wird dieses
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