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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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mit dem außer ihm offenbar alle anderen vorzüglich zu kommunizieren verstanden, irgendeinen Namen ausgespuckt hatte.
    „Nein, habe ich nicht“, gab Sonja enttäuscht zu.
    „Wenn du bis heute Nachmittag nichts herausfindest, dann könntest du ja sogar die Presse einbinden. Ich meine damit, dass doch bestimmt ein vernünftiges Foto von seinem Gesicht herzustellen ist, oder?“
    „Mach ich. Aber müssen wir da nicht erst …“
    „Claasen, meinst du?“
    Sonja nickte stumm.
    „Der hat mir einen ziemlich beeindruckenden Vortrag gehalten und wünscht Tag und Nacht unsere vollste Konzentration. Also wird er auch die Hilfe der Presse nicht ausschlagen.“
    „Das hat er wirklich so gesagt?“, wunderte sie sich.
    Manzetti überlegte kurz. „Mmh, vielleicht nicht ganz. Aber das stand zwischen den Zeilen.“
    „Okay. Aber dafür trägst du die Verantwortung. Was sonst noch?“, fragte sie fordernd, so als wäre große Eile geboten.
    „Sprich mit den Tauchern der Bereitschaftspolizei und bitte sie, die Havel an der Fundstelle abzusuchen. Sie sollten schon etwas davor, ich meine entgegen der Strömung, beginnen. Vielleicht finden sie ja irgendetwas, das uns weiterhilft, und wir gewinnen Zeit.“
    Als Sonja alles aufgeschrieben hatte, schickte er sie wieder weg und verließ dann selbst die Direktion. Er ging in Richtung Nicolaiplatz und bog kurz davor nach links in die Hochstraße ab. Die Treppen bis zum Eingang des städtischen Klinikums erklomm er sehr langsam, denn seiner Meinung nach hatte er an diesem Tag schon genug geschwitzt.
    Im Krankenhaus suchte Manzetti die Cafeteria auf, setzte sich auf einen Stuhl, der nicht direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt war, und bestellte einen Espresso und ein Glas Wasser. Dann wartete er. Nach etwa zehn Minuten erschien endlich Dr. Bremer und winkte der jungen Kellnerin schon an der Tür zu. Der Dame reichte das, denn auch ohne viele Worte begann sie, dem Doktor das zuzubereiten, was er wünschte.
    Bremer entnahm seiner braunen Tasche einen Stapel Fotos und warf sie vor Manzetti auf den Tisch. „Kommen wir gleich zur Sache“, begann er in barschem Ton. „Die Bestimmung der Todeseintrittszeit war sehr schwierig. Ich habe mich in erster Linie an die konservativen Methoden gehalten. Ergo kann ich sagen, dass wir es mit einer einigermaßen frischen Leiche zu tun haben.“ Bremer machte eine kurze Pause, um sich einige Schweißperlen von der Stirn zu wischen. „Ich gehe nicht davon aus, dass sie länger als sechs bis acht Stunden in der Havel lag. Durch den langen Aufenthalt im Wasser war die Feststellung des Todeszeitpunktes mit Hilfe der Körpertemperatur leider nicht möglich.“ Er kramte wieder in seiner Tasche und holte einen Aktenordner hervor, in den er seine Notizen und Untersuchungsergebnisse geheftet hatte.
    „Die Fotos können Sie ruhig betrachten“, versuchte er zu provozieren, wohl wissend, dass Manzetti dann von neuem Ekel geschüttelt würde. „Ich gehe davon aus, dass der Tod gestern so zwischen einundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr eintrat … Wie komme ich darauf, mein lieber Manzetti?“
    Der lehnte sich in seinem Stuhl zurück, sagte aber nichts. Die Fotos lagen noch immer unberührt auf dem Tisch.
    Endlich beantwortete Bremer die von ihm selbst gestellte Frage. „Die Totenstarre war nämlich noch nicht vollständig ausgebildet, was nach sechs bis neun Stunden der Fall gewesen wäre. Es fehlte aber nicht mehr viel, und die Messung der elektrischen Herzerregbarkeit erbrachte bei Injektion in die Vorkammer noch ein Ergebnis.“
    Als Bremer damit fertig war, drehte er sich nach der hübschen Kellnerin um, und seine Augen begannen, merkwürdig zu leuchten. Sie nahte mit einem großen Glas Cola. Auch ohne an dem Glas zu riechen, wusste Manzetti aus der langjährigen Zusammenarbeit mit Bremer, dass diese Cola einen gehörigen Prozentsatz Rum enthielt. Selbst jetzt zur Mittagszeit.
    „Der Tod ist auf scharfe Gewalt zurückzuführen“, sagte Bremer und nahm der blonden Bedienung das Glas aus der Hand. „Schreiben Sie es bitte auf meine Rechnung“, wies er sie an und trank dann einen riesigen Schluck.
    „Na klar, Herr Doktor“, antwortete sie mit blinzelnden Wimpern, die eine Vertrautheit verrieten, die über eine in Krankenhauskantinen übliche hinausging. Warum sollte Bremer aber auch asketisch leben, dachte Manzetti und ergänzte in Richtung der Kellnerin: „Und meinen Kaffee auch.“ Was Bremer durch ein Nicken bestätigte, nachdem er sich mit dem
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