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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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beim Spaziergang gefunden. Und das ist Hauptkommissar Manzetti. Er leitet die Ermittlungen.“
    Er brauchte ihnen keine Frage zu stellen, die kleine Frau in den hohen Sechzigern begann sofort zu berichten. „Wir gingen hier wie jeden Tag nach dem Frühstück spazieren und sahen den Körper im Wasser treiben. Mein Mann stieg die Leiter hinunter in die Havel und hat ihn an die Mauer herangezogen.“ Manzettis Blick fiel automatisch auf ihren Mann. Man sah ihm sein hohes Alter an, aber er schien noch sehr fit zu sein. Seine zerknautschte Hose ließ wirklich die Vermutung zu, dass er mit ihr vor kurzem im Wasser gewesen war.
    „Da konnten wir ja noch nicht wissen, dass der arme Kerl ermordet worden ist“, fuhr Frau Müller unterdessen fort. Sie fasste sich mit einer Hand an die Stirn und spitzte entsetzt die Lippen. „Mit Hilfe anderer Männer, die hier auf den Bänken gesessen haben, hat er ihn dann aus dem Wasser gehoben und auf den Rücken gedreht. Furchtbar diese Verletzung. Und das ganze Blut …“ Sie nahm die Hand von der Stirn, presste sie vor den Mund und drehte sich gleichzeitig zur Seite.
    Manzetti sah ihr den Ekel regelrecht an. Er hoffte nur, dass sie ihr Frühstück wenigstens so lange bei sich behalten würde, bis ihm selbst nicht mehr schlecht war. Als er seinen Kopf nach links drehte, erspähte er in einiger Entfernung jene Männer, die Frau Müller wohl gemeint hatte. Eine zahnlose Abordnung von Brandenburgs Stadtpennern prostete ihm belustigt mit braunen Bierflaschen zu. Es waren gute Bekannte von ihm, auch wenn sie nicht zu seinem privaten Umfeld gehörten. Sie waren weit und breit die Einzigen, die keine entsetzten Gesichter machten. Sie wirkten sogar ausgesprochen fröhlich.
    „Schönes Frühstück“, dachte Manzetti beim Anblick der Bierflaschen und sah wieder zum Ehepaar Müller, ohne den Gruß der drei Männer zu erwidern.
    „Danke, Frau Müller“, seufzte er. „Das haben Sie sicherlich alles meiner Kollegin bereits erzählt, und ich will Sie auch nicht weiter quälen. Wenn Sie sich für uns noch einige Zeit bereithalten würden? Es hat ja sicherlich schon jemand notiert, wo wir Sie erreichen können. Ich melde mich dann bei Ihnen, ja? Bis dahin noch mal danke und auf Wiedersehen. Sonja!“
    Sonja Brinkmann riss entsetzt den Mund auf, sagte aber vorerst nichts. Erst als das Ehepaar außer Hörweite war, fragte sie ein wenig verstört: „Warum warst du so unhöflich und kurz angebunden?“
    „Sagen wir es so“, antwortete er, ohne sie eines Blickes zu würdigen. „Wenn du nicht immer so ungestüm handeln würdest, dann wäre dir sicherlich auch nicht entgangen, dass die Dame gerade anfing zu spinnen.“
    Die gebirgigen Falten auf Sonjas Stirn zeigten ihre Verwirrung nur zu deutlich. „Das verstehe ich nicht.“
    „Warum bist du Polizistin geworden?“, fragte er, ohne ihr Zeit für eine Antwort zu lassen. „Sicherlich doch, um nach der Wahrheit zu suchen, oder? Was ist aber die Wahrheit? Ist die Wahrheit in den Aussagen der Zeugen zu finden, die geradezu auf solche Unglücke lauern?“ Sein Blick ging dabei zur Jahrtausendbrücke, die noch immer gut gefüllt war. „Die Frau hat gerade ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Sie hätte sich nicht wieder eingekriegt. Das kannst du mir glauben, und du hättest das eigentlich auch alleine merken müssen.“
    Sonja nahm ihren Chef scharf ins Visier. Jedenfalls versuchte sie es. „Sie wollte uns doch nur helfen. Ohne auch nur auf eine Frage zu warten, hat sie geschildert, was sie gesehen hat. Wo ist dein Problem?“
    „Das Problem? Das Problem ist dieser Typus von Zeuge: Herr Kommissar, ich habe alles ganz genau gesehen. Worum geht’s?“ Nach einer kurzen Pause fuhr er dann in ruhigerem Ton fort. „Sie erzählte von Unmengen Blut! Sonja, erkläre mir bitte, wie der Tote noch geblutet haben soll, als sie ihn endlich aus dem Wasser gefischt hatten. Kein Tropfen war mehr in ihm.“
    Sonja stand plötzlich wie angenagelt. Sie hatte das Gefühl, als lege sich eine straffe Schlinge um ihre Luftröhre. Sie fürchtete zudem, knallrot anzulaufen, und schäumte innerlich vor Wut auf sich selbst. Wie konnte ihr ein derartiger Lapsus unterlaufen? Noch dazu vor Manzetti, den sie, warum auch immer, sogar anhimmelte. Sie wollte doch immer und in jeder beruflichen Situation alles richtig machen! Endlich, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sich außer Manzetti niemand im Umkreis von zehn Metern befand, gewann sie wieder an Fassung und brach
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