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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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Handrücken über den Mund gewischt hatte. Die Kellnerin kommentierte es nicht und verschwand wieder hinter ihrem Tresen.
    „Danke“, bequemte sich Manzetti doch noch zu sagen, obwohl er die selbst veranlasste Einladung als eine Art Schweigegeld für die Cola-Rum verstand.
    „Ein klassischer Halsschnitt. Sie verzeihen mir die Bemerkung, aber der Schnitt ist wundervoll ausgeführt. Zur verwendeten Waffe kann ich so viel nicht sagen. Es deutet aber alles auf ein Messer. Oder ein Skalpell.“
    Oder eine Rasierklinge oder ein Beil oder, oder, oder setzte Manzetti die Aufzählung in seinen Gedanken fort.
    „Details bitte ich meinem Bericht zu entnehmen.“ Bremer klappte den Aktenordner zu und übergab seinen Bericht damit offiziell an Manzetti. Dann schüttete er genüsslich den Rest Cola in sich hinein.
    „Einige Bemerkungen hätte ich noch.“ Jetzt zitierte Bremer aus dem Gedächtnis. „Der Tote war wahrscheinlich an den Handgelenken gefesselt, und er war geknebelt. Jedenfalls befinden sich Rückstände von Klebeband rings um seine Lippenpartie.“ Nach einer kurzen Pause sagte er: „Dann ist mir noch etwas aufgefallen. Das spielt vielleicht keine bedeutende Rolle, hilft Ihnen unter Umständen aber bei der Identifizierung der Leiche.“
    Mit dieser Bemerkung schraubte sich Manzettis verflachendes Interesse augenblicklich wieder auf das höchste Niveau, und er forderte den Arzt mit eindeutiger Geste zum Weiterreden auf.
    „Ich fand nicht normale Hornhauthäufungen an beiden Knien des Toten. Man ist natürlich versucht anzunehmen, dass er zu Lebzeiten als Bauarbeiter malochte, vielleicht als Pflasterer, der viel auf Knien rutschte. Aber dazu passen seine gepflegten weichen Hände nicht.“
    Mehr konnte Manzetti dem Rechtsmediziner nicht entlocken, und so verabschiedete er sich ohne weitere Fragen und ging dann die Hochstraße wieder hinunter bis zum Nicolaiplatz. Dort wollte er eigentlich in die Straßenbahn steigen und nach Hause fahren, aber das musste warten. Er ging zurück zur Direktion.

3
    Ole Claasen, inzwischen in der Mitte der Fünfziger angekommen, war ein Mensch, der alle Gelassenheit verlor, die seinem Alter eigentlich angemessen wäre, sobald er unter Druck geriet. Deshalb riss er die Tür zu seinem Vorzimmer auf und blaffte sofort in den Raum: „Wo ist Manzetti? Ich kann ihn in seinem Büro nicht erreichen.“
    „Soweit ich weiß, wollte er ins Klinikum.“ Frau Freitag, die Sekretärin des Direktors und auch gute Seele der gesamten Etage, lugte vollkommen unbeeindruckt ob des scharfen Tons ihres Chefs über ihre golden gerahmte Lesebrille.
    „Geht es ihm nicht gut? Ist er etwa schon wieder krank?“ Claasens Laune besserte sich nicht.
    „Ist er nicht, Herr Direktor. War er übrigens noch nie, seit er hier bei uns arbeitet“, erwiderte Frau Freitag ohne jegliches Verständnis für die mangelnde Menschenkenntnis des Direktors. Alle weiteren Gedanken behielt sie vorsichtshalber für sich.
    „Was will er dann im Klinikum? Er soll sofort zu mir kommen. Und ich meine damit auch sofort!“
    Die schlanke Hand mit den dunkelrot lackierten Fingernägeln griff zum Telefonhörer.
    „Ich werde versuchen, ihn zu erreichen. Aber das könnte schwierig werden“, nahm sie Claasen umgehend jede Hoffnung. „Er ist zur Rechtsmedizin gegangen und wollte dort mit Dr. Bremer das Obduktionsergebnis besprechen.“ Sie räusperte sich und gab Claasen damit zu verstehen, dass sie jetzt lieber allein wäre; um zu telefonieren.
    Der Direktor schloss ernüchtert und ohne weitere Worte die Tür.
    Frau Freitag aber wählte die private Telefonnummer Manzettis, wohl wissend, dass der zur Mittagszeit wie gewohnt zu Hause sein würde, um dort mit seiner Frau Kerstin eine Kleinigkeit zu essen.
    „Manzetti, hallo“, meldete sich eine weibliche Stimme.
    „Frau Manzetti, ich grüße Sie. Könnte ich bitte Ihren Mann sprechen? Der Chef verlangt mal wieder sehr eindringlich nach ihm.“
    „Ach, hallo, Frau Freitag. Ich muss Sie leider enttäuschen, er ist nämlich noch nicht hier. Soll ich etwas ausrichten, falls er doch noch kommt?“ Kerstin Manzetti blickte auf ihre Armbanduhr, die bereits fast halb zwei zeigte.
    „Danke, ja, er soll mich bitte anrufen. Aber vielleicht ist er ja doch im Haus.“
    Tatsächlich sah Manzetti gerade in seinem Büro auf die Anrufliste seines Telefons, entdeckte dort die Nummer seines Chefs, und damit war es für ihn unschwer zu erraten, dass Claasen ihn dringend erwartete.
    Der Direktor
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