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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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das Schweigen. „Du hast ja Recht. Die beiden bringen uns nicht wirklich weiter, denn sie haben den Toten lediglich gefunden. Wir sollten jetzt zuerst klären, wer er ist, ich meine natürlich war .“
    „Richtig“, pflichtete er bei. „Und das sollten wir tun, bevor uns die Presse das mitteilt. Ergo, wie unser Dottore immer sagt, stöberst du alle Vermisstenfälle der letzten Tage, besser der letzten Wochen durch.“

2
    Manzetti hatte die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und starrte Löcher in die Luft seines Büros. Er fand erst jetzt Zeit zum Nachdenken, denn dazu brauchte er nach der Besichtigung derartiger Tatorte eine Auszeit, die er sich auch gegen alle Widerstände regelmäßig nahm.
    Deshalb war er vom Fundort der Leiche erst einmal in den nahe gelegenen Fontaneclub gegangen und hatte dort das Personal befragt, ob sie irgendetwas bemerkt hätten, was ihm in diesem Fall weiterhelfen könne. Aber alle waren nur mit dem Herrichten des Buffets beschäftigt gewesen, hatten die Leiche nicht gesehen und konnten somit auch nichts zu ihrer Identifizierung beitragen. „Wir wurden erst aufmerksam, als es hier den ganzen Auflauf gab“, hatte die Kellnerin gesagt, und das war wirklich die einzige Aussage, die sich auf den Mord bezog.
    Also hatte er sich entschlossen, wenigstens noch einen kalten Weißwein zu trinken und dazu zwei oder drei Amarettokekse zu knabbern. Und musste wieder einmal feststellen, dass sein Gaumen, den er wohl von seiner italienischen Mutter geerbt hatte, sich an den deutschen Wein immer noch nicht gewöhnen wollte. Nach wie vor zog er einen Pinot Grigio jedem Riesling vor.
    Zurück in seinem Büro wusste er nicht so recht, wie er anfangen sollte. Der Direktionsleiter, Polizeidirektor Claasen, hatte ihn sofort zu sich beordert und in Form eines Monologs die Bedeutung, gar die vernichtende Bedeutung dieses Mordfalls für den keimenden Tourismus ihrer gemeinsamen Heimatstadt klargemacht. Der Direktor hatte seinen Kopf in den Nacken geworfen und mit staatsmännischer Geste trompetet: „Jetzt stehen wir in einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.“ Was immer das auch heißen mochte.
    Claasen, in Brandenburg geboren und auch aufgewachsen, hatte dabei mit jedem Satz verraten, dass er als Polizeichef nicht nur der Allgemeinheit, sondern als rotarischer Freund auch seinen zahlreichen am Tourismus verdienenden Mit-Rotariern verpflichtet war. Manzetti habe also alle anderen Fälle, an die er kostbare Zeit verschwände, liegen zu lassen und sich ausschließlich auf diese Ermittlungen zu konzentrieren. Damit hatte Claasen Manzettis nächste Frage schon beantwortet, bevor der sie überhaupt stellen konnte, und die Alternative, dass vielleicht doch Gauder den Fall betreuen könne, mit einem Fingerstreich zunichte gemacht.
    Manzetti hatte sich daraufhin schmollend in sein Büro zurückgezogen und nahm nun ein weißes Blatt Papier aus dem Schreibtisch. Mit gespitztem Bleistift notierte er, was er bislang wusste.
    Er schrieb über den Toten: „männlich, weiße Hautfarbe, mittleres Alter, bekleidet mit Jeans und Poloshirt“. Nach einer kurzen Pause fügte er in Klammern hinzu: „(barfuß)“. Alles andere konnte er nur vermuten, wie etwa, dass der über den gesamten Halsbereich verlaufende Schnitt mit einem sehr scharfen Messer verursacht worden und der Körper in der Folge völlig ausgeblutet war. Den Todeszeitpunkt hatte Dr. Bremer nicht eingrenzen wollen, und Manzetti musste davon ausgehen, dass Auffinde- und Tatort zweierlei Stellen waren. Mehr hatte er nicht – und das war nicht viel. Vor allem aber fehlte ihm ein Hinweis auf die Identität des Opfers.
    Er schielte auf die kleine Standuhr, die seit einem Jahr ihren Platz auf seinem Schreibtisch gefunden hatte. Sie war das Geschenk seines Patenonkels und hatte früher dessen Büro im Oberlandesgericht geziert. Dann drückte Manzetti eine Taste seines Telefons.
    „Sonja, komm bitte mal zu mir.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er auf.
    Nach nicht einmal dreißig Sekunden klopfte es an der Tür, und nur einen Wimpernschlag später saß Sonja auf dem Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. Sie rückte dicht heran und legte einen Notizblock vor sich ab, wobei sie nervös einen Stift zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger drehte und unaufhörlich mit der Spitze ihres rechten Turnschuhs auf den Boden tippte.
    „Hast du schon etwas zur Identität unseres Opfers?“, fragte er. Die Frage entsprang seiner Hoffnung, dass der Computer,
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