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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah
Autoren: Julia Crouch
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Träumen von einer atemlosen Jagd durch Raum und Zeit. Sie schlug die Augen auf und stellte fest, dass sie sich zwischen hohen Bäumen befanden. Ihre mondbeschienenen Silhouetten wiegten sich im Himmel über ihnen. Marcus’ Kopf war in beunruhigender Weise nach hinten abgeknickt, und er saß vollkommen regungslos in seinem Sitz. Eine Schrecksekunde lang spürte Lara das Adrenalin in ihren Wangen prickeln, doch dann stieß Marcus einen Seufzer aus, gefolgt von einem Schnarchen, das sich durchs Lederpolster direkt bis in ihre Nebenhöhlen bohrte. Er hatte bloß angehalten, um sich auszuruhen. Sie versuchte, ihren aufkeimenden Ärger zu ersticken, indem sie sich ins Bewusstsein rief, dass er immerhin nicht am Steuer eingeschlafen war und sie alle totgefahren hatte.
    Sie drehte sich nach hinten um und warf einen Blick auf die Kinder. Sie sah jedes Einzelne der Reihe nach an, um sich zu vergewissern, dass sie alle noch atmeten. Schließlich befanden sie sich in einem Land, wo Serienmörder am Straßenrand lauerten, wo es Freddie Kruger gab und schauerliche Großstadtlegenden. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass die drei quicklebendig waren, lehnte sie sich nach links und rüttelte Marcus, etwas unsanfter als nötig, wach.
    »Wie weit ist es noch?«, wollte sie von ihm wissen.
    Er rieb sich die Augen und warf instinktiv einen Blick in den Rückspiegel, um sich die roten Locken zu ordnen. »Tut mir leid, ich konnte die Augen nicht mehr offen halten …«, sagte er.
    »Wie weit noch?«, wiederholte sie.
    »So ungefähr fünfzig Meilen? Ich weiß nicht genau, ich –«
    »Okay, dann fahre ich eben«, sagte Lara. Sie stieg aus, um zur Fahrerseite zu gehen, und warf dabei ihre Tür ein wenig zu laut hinter sich ins Schloss. Bella richtete sich blinzelnd auf, fragte, ob sie bald da wären, drehte sich dann aber gleich wieder zur Seite und machte die Augen wieder zu. Lara lenkte den Wagen zurück auf die dunkle, von Bäumen gesäumte Straße. Sie stellte fest, dass Marcus, der auf den Beifahrersitz hinübergewechselt hatte, sofort wieder eingeschlafen war.
    Sie brauchte ein paar Minuten, um sich daran zu gewöhnen, dass alles seitenverkehrt war, aber dann machte ihr das Autofahren Spaß. Auf dem Fahrersitz des Chevy, der so hoch war wie der eines Lastwagens, überkam sie ein fast vergessenes Gefühl von Stärke und Freiheit.
    Sie schaltete den Tempomat ein und fuhr die nördlichen Hänge der Catskill Mountains hinunter in Richtung Trout Island. Sechs Wochen würden sie hier verbringen. Sechs Wochen weit weg von allem. Klarheit und Entschlusskraft gehörten nicht zu Laras hervorstechendsten Charaktereigenschaften, doch als sie nun am Steuer dieses Wagens saß, wusste sie eins ganz genau: Nichts war unmöglich, und sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihre Gefühle und ihre Familie wieder auf den richtigen Kurs zu bringen.

2
    W ir sind da!«, rief Lara, als sie endlich in die Main Street von Trout Island, New York, einbogen.
    Es waren lange fünfzig Meilen gewesen, seit sie das Steuer übernommen hatte, außerdem war sie aufgrund eines fehlenden Hinweisschildes einen riesigen Umweg um ein Regenrückhaltebecken herum gefahren. Die Wegbeschreibung, die James ihnen per Mail geschickt hatte, war an allen unproblematischen Stellen unnötig ausführlich und immer gerade dort vage, wo es wirklich darauf ankam. Dass Laras Gehirn davon ausging, es sei zwei Uhr morgens, obwohl es erst einundzwanzig Uhr Ortszeit war, hatte auch nicht gerade geholfen.
    Die anderen regten sich allmählich. Bella weckte Jack, der prompt zu quengeln begann, weil er nicht wusste, wo er war. Sobald sie seinen Schnuller gefunden hatte, beruhigte er sich jedoch wieder.
    »Kannst du mich zum Theater lotsen?«, bat Lara ihren Mann und warf ihm die Blätter mit der wenig hilfreichen Wegbeschreibung in den Schoß.
    »Okay, okay, also. Hier steht …« Marcus holte aus der Jackentasche seine Lesebrille. »›Nach der Kurve geradeaus die Main Street runter, dann an der Kreuzung links. Ihr könnt uns gar nicht verfehlen.‹«
    Wenige Minuten später bogen sie in eine ruhige, mondbeschienene Straße ein. Zu ihrer Rechten stand ein Gebäude, das so hoch war, dass es einem fast schon unwirklich vorkam. Eckige weiße Pfeiler – so hoch müssen Mammutbäume sein, dachte Lara – ragten von einer über dreißig Meter langen Veranda auf und stützten ein Satteldach mit Ziergiebel. Das Ganze sah aus wie ein Parthenon aus Sperrholz.
    »Das muss dann wohl
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