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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah
Autoren: Julia Crouch
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auf einen Schuppen etwa sieben Meter entfernt. An dessen ihr zugewandter Ecke hing von der Traufe ein durchsichtiger zylinderförmiger Behälter mit einer klaren Flüssigkeit darin, und um diesen Behälter herum schwirrten Tiere, die aussahen wie riesige Motten. Lara hasste Motten, doch am Ende siegte ihre Neugier. Sie sprang von der Veranda und trippelte über den heißen Asphalt, um sich die Sache aus der Nähe anzusehen.
    »Kleine Vögel«, sagte sie entzückt. »Winzig kleine Vögelchen.«
    Zwei Kolibris umschwirrten einen Futterspender, der etwas enthielt, was ihnen offenbar sehr schmeckte. Ihre Flügel waren ein irisierender Schimmer, und ihre langen Schnäbel schwebten reglos inmitten der Bewegung, während sie sich an der Flüssigkeit labten. Ganz still stand Lara da und sah ihnen zu, wie verzaubert von dem exotischen Anblick.
    Das war es, weshalb sie hierhergekommen waren. Um Neues zu erleben und Raum für Veränderung zu schaffen. Marcus, so hoffte sie, würde endlich seinen wohlverdienten Erfolg feiern – es war das erste Mal seit der Schauspielschule, dass er eine titelgebende Hauptrolle bekommen hatte. Und dabei würde er einen Teil seiner Persönlichkeit wiederentdecken, der schon viel zu lange brachgelegen hatte. Genau dieser Teil war es, fürchtete sie, den sie früher einmal geliebt hatte.
    Hoffentlich würde alles so laufen, wie er es sich vorstellte. Auf den ersten Blick sah das Theater nicht gerade wie das kulturelle Kraftzentrum aus, als das James es während der langen Skype-Gespräche mit Marcus in den Wochen vor ihrer Abreise beschrieben hatte. Andererseits hatte sie es gestern Abend ja nur kurz gesehen. Und vielleicht wurden die Dinge in Amerika einfach anders gehandhabt. Vielleicht maß man hierzulande denselben Dingen einen ganz unterschiedlichen Wert bei.
    Nein, dachte sie. Es würde ein fantastischer Sommer werden. Die Leute würden aus New York City kommen, um Marcus zu sehen, und ein Agent aus Manhattan würde ihn unter Vertrag nehmen – Marcus behauptete immer, dass es für einen englischen Schauspieler in den Staaten viel leichter sei, Fuß zu fassen. Sie selbst würde die Stelle bei der Stadtverwaltung, die ihre Seele auffraß, kündigen und sich selbständig machen.
    Und dann würden sie glücklicher sein, als sie es seit langer, langer Zeit gewesen waren.
    Lara beobachtete die winzigen Vögel, die ganz mit ihrem Nektar beschäftigt waren, und gab sich der Vorfreude hin.
    Das Zuschlagen der Fliegengittertür riss sie jäh zurück in die Wirklichkeit. Sie drehte sich um und sah Jack in seinem übergroßen Schlaf-T-Shirt, die kleinen Augen rot und verquollen.
    »Meine Brust ist ganz zu, Mummy.«
    »Ich weiß. Mein armer Schatz.« Sie ging zu ihm und nahm ihn in die Arme. Er fühlte sich heiß an, allerdings kam er ja gerade aus dem Bett.
    »Hier, probier das mal aus«, sagte sie, richtete sich auf, streckte die Arme nach beiden Seiten aus und ließ sich den Körper von der Brise streicheln. Jack machte es ihr nach, und so standen sie eine Zeitlang nebeneinander und genossen den kühlen Lufthauch.
    »Ich gebe dir noch eine Tablette, und dann sehen wir zu, dass wir was zu essen auftreiben«, sagte sie. Auf Zehenspitzen ging sie nach oben und schlich durchs Schlafzimmer, um Jacks Kleider, Tabletten und den Inhalator zusammenzusuchen, ohne dass Marcus wach wurde. Dann verließen die beiden leise das schlafende Haus, um sich auf die Suche nach einem Laden zu machen. Jack wollte unbedingt in seinem Buggy sitzen. Er war ganz schlapp von der Hitze und hatte die billige Baseballkappe aufgesetzt, die er zusammen mit einem Rucksack mit der Aufschrift »For Kidz« im Flugzeug geschenkt bekommen hatte.
    Sie wandten sich nach rechts und holperten über den unebenen Gehweg, der sie vom Haus wegführte. Die Straße war lang und schnurgerade. Lara wusste noch von der Wegbeschreibung, dass sie Main Street hieß. Auf ihrer linken Seite befanden sich mehrere parallele Seitenstraßen mit Namen Third Street, Fourth Street und so weiter. An der Sixth Street angekommen, kurz vor einem großen, mit Gras bewachsenen Friedhof, stellte Lara fest, dass sie das Ende von Trout Island erreicht hatten, also bogen sie in die Sixth Street ein und liefen weiter, bis sie an eine Kreuzung gelangten, von der links eine kleinere Straße namens Back Street abging.
    »Originelle Namensgebung«, sagte Lara zu Jack, der nickte, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, wovon sie sprach.
    Die Häuser waren fast ausnahmslos
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