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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee
Autoren: Bastei Lübbe
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länger warten. Und doch rührte er sich nicht vom Fleck.
    Und dann kam der Rauch. Eine warme Wolke, die von oben auf ihn herabsank. Ein furchtbarer Hustenanfall packte ihn. Er würgte und rang nach Luft. Er sank zu Boden. Hustete. Wartete, dass er sich übergab. Hustete immer weiter. Und merkte, dass die Luft am Boden noch einigermaßen gut war. Das war es, was Benno gemeint hatte. Kriechen, hatte er gesagt. Da ging die Kellertür auf.
    »Auf den Boden!«, rief Jonah. »Hock dich hin!«
    »Hab ich schon«, antwortete Jette mit klarer Stimme.
    »Was hast du gemacht?«, fragte er wütend.
    »Ein Kästchen geholt«, antwortete sie mit einem Lächeln in der Stimme. Sie kroch auf ihn zu. In der Hand hielt sie irgendetwas, das beim Krabbeln hart auf den Boden aufsetzte. »Jetzt müssen wir aber wirklich raus«, sagte sie. »Der Rauch senkt sich immer mehr nach unten.«
    Sie war bei ihm angelangt und berührte leicht seine Hand. Ihre Stimmung stand in einem merkwürdigen Gegensatz zu der Situation, in der sie sich befanden. Woher nahm sie plötzlich diese Energie? Gerade war sie noch halbtot gewesen. Wie schön es war, sie neben sich zu spüren, dachte er.
    »Hast du jetzt alles?«, fragte Jonah.
    Er krabbelte voran. Das nasse Tuch hielt er verkrampft in seiner Faust. Sein Herz schlug hart und schnell. Er schwitzte. Das Feuer machte richtigen Lärm. Ein Monster, das bereits ein Zimmer verwüstet hatte und sich jetzt dem Flur zuwandte. »Wie tief ist der Rauch?«, fragte Jonah nach hinten.
    »Bleib so, wie du bist«, sagte Jette. »Nur ein paar Zentimeter über deinem Kopf.«
    Wie langsam man auf allen vieren vorankam! Jonah krabbelte dicht an der Wand entlang. Hinter ihm setzte Jetteunregelmäßig ihre Knie auf. Wieso hatte er nicht daran gedacht, die Tür zur Halle offen zu halten! Er hätte nur eine Vase in den Türrahmen stellen brauchen. Dann hätte der Rauch abziehen können, und sie müssten jetzt nicht durch diese Giftsuppe krabbeln. Da war die Tür. Endlich. Diese beschissene Tür. Er würde aufstehen müssen, um sie zu öffnen. Und seinen Kopf in die giftige Wolke stecken. »Bleib hier unten«, sagte er zu Jette und schob sie etwas zurück. Ihr Gesicht war für einen Augenblick sehr nah. Er holte tief Luft, richtete sich auf und strich mit der Hand an der Tür entlang.
    Er konnte die Wolke spüren. Wie ihre giftige Wärme ihn umfing. Seine Augen fingen sofort an, stark zu brennen. Ein Feuerfunke legte sich auf seine Haut. Er drückte ihn mit der Hand aus. Da war die Klinke, er versuchte sie herunterzudrücken. Und dann ging alles ganz schnell. Die Tür wurde hart nach innen aufgestoßen. Sie knallte voll gegen ihn. Jonah bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten, aber die Wucht war zu groß. Er wurde zurück in den Raum geschleudert und fiel zu Boden. Wo war Jette? Er hatte keine Luft mehr in seinen Lungen. Und es war so heiß. Das Feuer. Es war längst im Flur. Brüllendes, heißes Feuer. Er musste atmen, probierte es ein bisschen. Aber die Luft war zu heiß, sie brannte in seinen Lungen, ohne dass er einen richtigen Atemzug gemacht hätte. Er hatte keinen Sauerstoff mehr. Ich will nicht sterben, dachte er. Er musste an einen Pinguin aus Pappmaché denken, den er seinem Vater einmal zum Geburtstag geschenkt hatte. Er war etwa kniehoch und hatte eine grüne, aufgemalte Brille. Er sah lustig aus. Wieso kam ihm jetzt dieser Pinguin in den Sinn? Er versuchte, an seinen Vater zu denken, an seine Mutter, an Jette. Wo war Jette? Aber immer schob sich dieser Pinguin in den Vordergrund. Er musste atmen. Neben sich hörte er schwereSchritte. Jemand hob ihn hoch, legte ihn sich über die Schulter und stürmte hinaus.
    In der Halle war es nicht ganz so warm. Jonah machte einen Atemzug. Und noch einen. »Jette!?«, rief er. Dann hörte er ihre Stimme. »Puh, das war knapp«, sagte sie. »Haben Sie etwas zu trinken? Nein, das Kästchen trage ich selber.«
    Die Luft im Garten war wunderbar kühl und frisch. Jonah wurde auf eine Liege gelegt und weggetragen. Ein Sanitäter fühlte seinen Puls. Sie passierten eine Absperrung. Ein Notarzt tauchte auf, und Jonah musste in ein Röhrchen blasen. »Ist okay«, sagte der Arzt. »Glück gehabt. Keine Vergiftung.«
    Danach war Jette dran. Auch bei ihr sah es gut aus. Ein Sanitäter brachte ihnen Wasser. Dann waren sie einen Augenblick lang allein.
    Jonah rutschte neben Jette. »Wie geht’s dir?«, fragte er.
    »Mir ging’s noch nie so gut wie jetzt«, antwortete sie und lachte.
    Er
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