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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee
Autoren: Bastei Lübbe
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Liebe verbunden. Als liebender Vater möchte ich daher um Ihre Gunst für meinen Sohn bitten. Es stört ihn auch nicht, dass Ihre Tochter in der Hand dieses Mannes gewesen ist. Die jungen Leute heute sind ja etwas anders als wir früher.
    Was das Schicksal von Herrn Tanner betrifft, muss ich natürlich die erforderlichen diplomatischen Wege unserer Länder einhalten. Aber es sei Ihnen bereits so viel gesagt, dass Herr Tanner in unserem Land wegen Mordes an dem Falken des Königssohnes angeklagt ist und der Prozess in Anwesenheit des Beschuldigten bald beginnen kann.
    Mit den besten Wünschen und in Hoffnung auf eine positive Antwort
    Scheich Hisham bin Sultan al-Nabil
    »Nicht schlecht, was?«, sagte Jette.
    »Hm.«
    »Ich glaube, die haben Wim Tanner.«
    »Wenn der Brief echt ist.«
    »Wer soll sich so etwas schon ausdenken? Außerdem weiß der Absender ziemlich gut Bescheid. Und der Briefkopf macht einiges her.«
    »Du meinst, es war ein echter Königssohn , dem der Falke gehört hat und der Wim Tanner den anonymen Brief geschrieben hat?«, fragte Jonah völlig perplex.
    »Sieht so aus.«
    »Ich glaub’s nicht!«
    »Na ja«, wandte Jette ein, »ist aber eigentlich auch nicht soo überraschend. Wieso habt ihr denn nie an einen Königssohn gedacht, wenn doch unter dem Brief Königssohn stand?«
    »Das meinst du jetzt nicht ernst?«
    »Und ehrlich gesagt, wenn jemand Falken züchtet, dann sind das doch meistens diese Beduinen von der Arabischen Halbinsel. Ich hatte da mal so ein Kinderbuch …«
    »Ich hatte dieses Buch zufällig nicht«, fiel Jonah ihr gereizt ins Wort. Das war ja jetzt wirklich die absolute Höhe. »Du meinst also, wir hätten das alles …?«
    Aber noch ehe er weitersprechen konnte, hörte er von Jette ein unterdrücktes Gekicher, das immer lauter wurde, und schließlich konnte sie sich vor Lachen nicht mehr halten.
    »Also ich bin der Meinung, man sollte immer zuerst an einen echten Prinzen denken!«, prustete sie. »Ich mach dasauch so. Als ich dich zum Beispiel das erste Mal gesehen habe, dachte ich gleich, du bist ein echter Prinz!«
    »Verarschen kann ich mich selbst«, sagte er grummelnd. Aber dann musste er auch lachen. Nach einer Weile wurde er wieder ernst und sagte: »Die wussten die ganze Zeit, wo du bist, und haben dich nicht gerettet! Die sind doch nicht ganz dicht. Was antwortest du denn jetzt auf den Brief?«
    »Das macht wohl eher mein Vater.«
    »Ich meine, was soll dein Vater dem Scheich schreiben?«
    »Na ja«, sagte Jette, »ich wollte ja schon immer mal reiten lernen.«
    Einfach umbringen, dachte Jonah. Ich sollte sie einfach umbringen.
    »So ein Kontakt zu einem Königshaus …«, sinnierte Jette.
    Sie ist echt ein Biest, dachte er, und legte seine Hand auf ihren Mund.
    Die Sonne war untergegangen, und es wurde bereits dunkel. Jonah und Jette lagen immer noch am Strand. Nebeneinander. Nur ihre Köpfe berührten sich. Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie schon so dalagen. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Der Trick war, einfach dazuliegen und nichts zu tun: Wenn man nicht aktiv war, verging die Zeit langsamer. Dann hatte man mehr von ihr. Von Jonah.
    Ein paar Meter entfernt pickte eine Möwe an dem Brief des Scheichs herum. Der Wind hatte ihn in den Sand geweht.
    Sie spürte die Stelle genau, an der sich ihre Köpfe berührten. Ihre Sinnesnerven schienen nur auf diese paar Zentimeter ausgerichtet zu sein. Das Zentrum ihres Körpers. Warme Haut. Weiche Haare. Pulsierende Adern. Ihr war, als seien sie beide Teil eines einzigen Blutkreislaufs. Sie hob ihre Füße und legte sie an die seinen. Jetzt war der Kreis geschlossen.
    Der Himmel verdunkelte sich. Sie blickte hoch. Über ihnen schossen lautlos Tiere vorbei. Ein ganzer Schwarm. Hunderte. Tausende. Ihre Flügel waren kaum zu erkennen, so schnell bewegten sie sich. »Fledermäuse«, sagte sie leise. Sie mussten aus den alten Mayatempeln am Strand kommen. Dann stürzte etwas zu ihnen hinab und schlug mitten auf Jonahs Bauch auf. Er zuckte zusammen und fasste mit der Hand hin. Nur ein Federball, nichts weiter. Eine junge Frau tauchte neben ihnen auf und entschuldigte sich wortreich auf Spanisch.
    Jonah richtete sich auf. »Es ist nichts passiert«, sagte er. »Nothing happened.«

Dank
    Ein Buch zu schreiben, ist ein Abenteuer. Ich danke allen, die mich dabei unterstützt haben.
    Meiner Freundin und Schriftstellerkollegin Jasna Mittler, die den Anstoß zu diesem Projekt gegeben hat. Anke, Karsten, Nicole, Niko, Sonja
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