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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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– nicht nur als reines Fress- und Geschenke-Aufreißfest , wie sie dem Obdachlosenfeind und Kirchenabtrünnigen Klaus vorwarf. Es würde also ein ganz zerfasertes Fest werden, schon kompliziert, bevor es überhaupt angefangen hatte.
    Und Silvester? Ich wusste nicht, wo und mit wem ich feiern sollte. Mich hatte niemand aus der Klasse eingeladen. Fiona flog mit Anna und zwei anderen Familien Jahr für Jahr auf eine der griechischen Inseln. Da lebte Anna dann mit ihren Freunden unverdrossen ihr Hippieglück, als würden Brian Jones und John Lennon noch leben, als hätte es Mogadischu und Isolationshaft nie gegeben. Selbst im Urlaub nahm Fiona Therapiestunden, Anna schickte sie Jahr für Jahr zu einer englischsprachigen Kunsttherapeuti n – und Fiona konnte sich dann im neuen Halbjahr mit Worten wie »quilt« in ihren Englischaufsätzen hervortun. Fiona würde mir wieder ein buntes Baumwolltuch (cotton cloth!) mitbringen und bei Schulbeginn im Januar ihre griechischen Weihnachtsgeschenke tragen. Und eine neue hübsche Mütze vom Eke l – das jetzt immerhin Roland hieß.
    Ich hatte Klaus und Wiebke schon mehrmals gefragt, ob wir nicht mitfliegen könnten, aber ihnen war das »zu viel Trubel«. Wiebke und Klaus saßen nämlich am allerliebsten zu zweit zu Hause auf dem Sofa und blätterten im Zeitlupentempo durch Kunstbände. Das war ihre ultimative Vorstellung von Harmonie. Auch an Silvester.
    Mein großer Hoffnungsschimmer war, dass Isa noch mal nach Berlin kommen würde. Und Falk? Falk ging bestimmt mit Christian auf eine No-Wave-Party. Ob er mich mitnehmen würde? Mal anteste n – vorsichtig. Ich sah es schon kommen, nachher hockte ich mit Wiebke und Klaus im Berliner Zimmer, und sie stritten sich, wer besser Blei gießen konnte. Am Ende versöhnten sie sich dann damit, dass sie sich überlegten, was im neuen Jahr alles Schreckliches in der Welt passieren und wer alles sterben würde. Und was alles explodieren könnte. Zwischendurch klingelte vielleicht noch einmal das Telefon, und Klaus würde zusammenzucken. Da setzte ich mich doch lieber allein in mein Hinterhofzimmer und schaute den lichtentwöhnten Kakteen beim Wachsen z u …
    Im Radio lief Stille Nacht, Heilige Nacht . Ein Journalist berichtete live aus dem Zoo, was für besondere Leckerbissen Knautschke und Bulette an den Feiertagen bekommen würden. Dann erzählte er, dass die beiden Stars des Zoos in diesem Jahr noch mehr Besucher als je zuvor bekommen hätten. Zum Schluss hielt man ihnen keckerweise einmal das Mikro vor die Nüstern, und sie machten tiefe Schnaufgeräusche. Na schön.
    Abends machte ich mich daran, Wiebke und Klaus etwas zu malen. Der eine verkrumpelte Topflappen schien mir als Weihnachtsgeschenk nicht genug zu sein, zumal sie sich immer viel Mühe gaben. Das war wunderbar an meinen Eltern: Egal, was man fabrizierte und wie scheußlich es aussah, wenn es im weitesten Sinne unter »Kunst« fiel, waren sie begeistert. Gegen Mitternacht hatte ich ein Bild fertig gestellt, auf dem rattenähnliche Wesen (die Ratten der Zukunft: mit silbernen Antennen auf dem Kopf und Rollerskates) munter in der strahlenden Abendsonne auf Mülltonnen herumhüpften. Ich hatte um sie herum Sprungfedern gemal t – sie sahen aus wie Superman, wenn er durch die Luft wirbelte. Links war eine Hauswand zu erkennen, von der Wasser herunterlaufen sollte, aber das war mir nicht so gelungen, es sah eher aus wie blaue Farbe, wie ein einsames Farbei, das allein an einer riesigen Berliner Brandmauer hinuntertränte. Aber ich nahm nicht an, dass Wiebke und Klaus das stören würde. Kabirs Hau s – falls sie sich daran erinnerten. Ich war zufrieden mit meinem Werk, andere Verwandte musste ich ja nicht bedenken (Falk bekam eine selbst aufgenommene Kassette und ein Poster mit einer Gruppe von Kronenpinguinen, die er wegen ihres »Iros« ja schätzte), also waren die Weihnachtsvorbereitungen in einem Klacks erledig t – wenigstens ein Vorteil, wenn Verwandte in Restdeutschland nicht mit Geschenken beglückt werden mussten. Allerdings hatte Falk am 26 . Dezember Geburtstag. Dieses Jahr würde mein Bruder achtzehn werden. Falk feierte jedoch nie, er bestand darauf, seine Geschenke Weihnachten zu bekommen, er wollte seinen Geburtstag nicht in irgendeiner Weise anders als andere Tage begehen.
    Heute war der vorletzte Schultag. Ich hatte gehofft, es würde kein normaler Unterricht mehr stattfinden, aber da hatte ich mich getäuscht. In Mathe wurde uns für Anfang Januar eine
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