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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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saß eine fast nackte, unglaublich aufgedunsene, leicht röchelnde, mit mörderischen Ketten um Hals, Hand- und Fußgelenke behangene Person, die mich an Divine erinnerte. Daneben zwei korpulente Ku’dammladys, zwei enorme Haarspraytalente, die aus sehr wenig sehr viel gemacht hatten, die eine mit weißblondem, die andere mit blauschwarzem Haarhelm, und beide mit langen flamingofarbenen Fingernägel n … Ein blondes Model trug einen Krug auf dem Kopf, und über den Krug hing ein pinkfarbener Netzstoff wie ein Schleier bis zu ihren Füßen. Nun betrat eine (wie mir schien) lateinamerikanische Schönheit den Laufsteg. Der modeschöpferische Witz sollte wohl aus dem Kontrast zwischen ihrer babyhaften Kleidun g – sie trug einen rosé-hellblau-zitronengelb gestreiften Strampelanzu g – und den sexy Netzfenstern an Brüsten und Po bestehen. Aus dem Publikum kamen ekstatische Rufe.
    Während die lateinamerikanische Schönheit zu The Look of Love und Shoot your Shot näher in unsere Richtung tanzte, musste ich an den geschundenen Körper von Herrn Adán denken. Wie er da in diesem komischen Lagerraum in der Dunkelheit fast nackt vor mir gestanden hatt e … Die Erinnerung war so intensiv, dass ich meinte, seine Narben wieder unter meinen Fingerkuppen zu spüren.
    Ich fuhr zusammen, als Isa mich am Jackenärmel zupfte. Ich hatte vergessen, wo ich war. »Was ist denn, Jule? Ist das nicht witzig, was die anhat?«
    Wahrscheinlich war es ein Fehler, dass ich Isa nicht irgendwann am Telefon von meinem Erlebnis in der Apotheke erzählt hatte. Nun schien eine Mauer zwischen uns zu stehen. »Doch, doc h …«
    Als sich Isa wieder von mir abwandte, blickte ich auf den Boden. Ich hab’ heute nichts versäumt. Denn ich hab’ nur von dir geträumt. Wir haben uns lang nicht mehr gesehn. Ich werd’ mal zu dir rübergehn. Ich schloss die Augen und hielt meine Hände auf die Ohren. Bis ich statt Nena mein Blut pulsieren hörte.
    »Weil sie herausfanden, dass ich am gleichen Tag wie der Herr und Meister Geburtstag habe, bin ich amnestiert worden.« Dann diese flüchtige Andeutung eines Lächelns. »Seitdem interessiere ich mich übrigens für Medizi n …« Diese Stimme. Er hatte nicht selbstmitleidig geklungen, eher selbstironisch. Wo er jetzt wohl war?
    Die Musik wurde leiser, die Show war vorbei. Um uns herum herrschte Aufbruchsstimmung, wurden Stühle zurückgezogen und Mäntel umgelegt. Isa nahm ihren Kunstpelzmantel, ich meinen Parka. Der Ku’damm war mit Weihnachtsgirlanden geschmückt, er sah festlich aus. Falk würde es kitschig finden, aber mir gefiel es. Isa und ich schlenderten in weitem Abstand zueinander über den breiten Bürgersteig. Wir verschwanden in der Menge von Menschen in Feierabendstimmung, überall Stimmen, Musikfetzen aus Autos, Doppeldeckerbusse fuhren dröhnend an uns vorbei, ein schöner städtischer Lärm umgab mich, ich war auf eine angenehme Art einsam, und langsam beruhigte ich mich etwas. Isa fing an, über ihre neue Schule und über Marco zu reden, und ich stellte bewusst eine Menge Fragen, um nichts von mir erzählen zu müssen.
    An einem der letzten Schultage vor den Weihnachtsferien ging ich an wieder einmal nach dem Unterricht mit zu Fiona. Anna stand mit einer Schürze in der Küche und winkte uns heran. »Hab’ euch Salbeicouscous mit Aprikosen und Rosinen in Mandelkokosnusssoße gemacht!«
    Ich versuchte, Anna anzulächeln, aber es gelang mir nicht. Fiona reagierte nicht.
    Anna runzelte die Stirn. »Ihr seid heute etwas spät. Eben hat das Ekel angerufen. Ich habe gesagt, heute kann er nicht mehr anrufen. Vielleicht morgen.«
    »Was wollte Roland denn?«, fragte Fiona.
    Annas Gesicht wurde hart. Sie fixierte ihre Tochter. Dann fuhr sie fort: »Das Ekel wollte mit dir auf den Südamerikabasar. Der geht nur bis heute. Aber du hat ja heute Besuch! Nächstes Jahr wieder«, mit diesen Worten stellte Anna zwei überschwappende Teller vor uns auf den Tisch und ging aus der Küche.
    Als wir später die ai informationen aufschlugen, waren wir überrascht, dass es diesmal nicht um Nicaragua oder um Südafrika ging, sondern um Deutschland. Amnesty war besorgt über die Inhaftierung von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen und über die Isolationshaft von Mitgliedern der RAF und der Bewegung 2 . Juni.
    »Wenigstens mal kein Brief in Englisch«, meinte ich nur.
    »Weißt du denn nicht, dass man zum eigenen Land keine Eilaktionen macht? Jetzt müssen die Mitglieder in Nicaragua und Südafrika
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