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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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das Thema, ich muss da schließlich schon jeden Tag dran vorbei.« Jedenfalls gab Klaus sich Mühe, mit keinem der beiden länger als mit dem anderen zu sprechen, um keine Zwietracht bei uns im Haus zu säen.
    Mit einem Mal setzte ein trommelndes Geräusch ein; ich lehnte meinen Kopf an die Scheibe, hörte und spürte, wie der Hagel gegen meine Fensterscheibe prallte. Dieser Hagel schien heute das Erste zu sein, was durch meine Müdigkeit zu mir drang. Ein böses, dumpfes Hämmern war das. Es klang, als ob aus dem metallfarbenen Himmel Nägel fiele n – in einer Zeit, als die Welt wieder eine Scheibe zu sein schien, oben und unten, West und Ost, Gold oder Blech, Schein oder Sein, Lüge und Wahrheit, oder umgekehrt, die Scheibe drehte sich, drehte sich, flirrend, blitzend generierte sie neue Gegensatzpaare, das meiste davon Lug und Trug. Und irgendwo dazwischen, auf der Kippe, auf der Kante, am Rande, also an der Front, und doch in der Mitte, im Zentrum, im ruhigen Auge des stillen Sturms, der den Kalten Krieg über die meiste Zeit herrschte: Berlin, West und Ost, regennass, hüben wie drüben.
    Nach einer Weile löste ich mich vom Fenster, rief laut »Tschü-hüss« durch die ewigen Jagdgründe unserer riesigen Wohnung und knallte die Tür zu. Letzte Woche im Keramikkurs hatten wir Eierbecher getöpfert; meine waren nachher im Ofen zersprungen. Heute konnte ich von vorne anfangen. Viel lieber würde ich am Fenster stehen bleiben, den Hauser beobachten und die Hauptstädte mittel- und südamerikanischer Länder auswendig lernen. Das tat ich seit Silvester und war schon bis H (Honduras/Tegucigalpa) gekommen, obwohl wir erst den 3 . Januar hatten.
    Eingehüllt in ein hässliches Regencape meiner Mutter und mit einem Wollschal um den Hals marschierte ich los. Ich grüßte Herrn Kanz, der keuchend Bierkästen aus seinem alten Volvo-Kombi holte; auf der Krempe seines schwarzen zerbeulten Huts glitzerten Hagelkörner. Der Grottenolk hatte sich in seiner Souterrainwohnung verkrochen und tauchte bei Kerzenschein Plastikblumen abwechselnd in Eimer mit schwarzer und roter Farbe. Anarchoblumen.
    Dann lief ich am Mottenmuseum, wie wir den kastenartigen Neubau mit winzigen Fenstern neben unserem Haus nannten, vorbei. Mottenmuseum hatte Klaus sich einfallen lassen. Ein Bekannter aus einer der lichtarmen Wohnungen in diesem Gebäude hatte über Motten in seinen vier Wänden geklagt und zur Bekräftigung seiner Worte auf ein Loch im Ärmel seines Wollpullovers gezeigt.
    Klaus hatte Falk und mir einmal erzählt, dass beim Häuserkampf im Frühjahr ’45 die Eckbauten besonders oft zerstört worden seien. Für unsere kleine Straße traf das jedenfalls exakt zu: an jeder Ecke eine Art Mottenmuseum, dazwischen graue Altbauten. In einem dieser dunklen, taubenverkackten Häuser mit Einschusslöchern wohnten wir. Unsere Eltern, die Falk in Anlehnung an ihre Lieblingsband The Mamas and the Papas gern The Wiebkes and the Klauses nannte, waren Anfang 1964 in die geteilte Stadt gezogen, im Jahr von Falks Geburt. Klaus hatte in einem damals neu gegründeten Kunstbuchverlag zu arbeiten angefangen. Was er da genau machte, hatte ich als Kind nie verstanden. Oft lag er tagsüber zu Hause in seinem unförmigen Lieblingssessel, las in dicken Manuskripten und kritzelte in ihnen herum. Manchmal besuchte er Ausstellungen und schrieb nachts darüber. Manchmal hielt er auch Reden oder Vorträge, oft wurden dabei zittrige Diabilder an die Wand geworfen. Und oft wurde geklagt, dass der Projektor plötzlich nicht mehr funktioniere. Falk und ich fanden diese Veranstaltungen meistens schrecklich langweilig. Nicht mal friedlich dösen durfte man, dann gab es Ellenbogenrempeln oder Kniffe in den Oberarm von Wiebke. Falk ging genau einmal mit, dann nie wieder. Jahrelang versuchten Wiebke und Klaus mit missionarischem Eifer, bei ihm wieder Interesse für »wichtige« Ausstellungen, Rundgänge, Gedenkfeiern, Lesungen und Vorträge zu wecken, und lamentierten, er sei »ignorant«, aber Falk zuckte nur die Schultern. Kulturterror. Den musste man aussitzen.
    Überall blitzte und blinkte es noch in den Fenstern. Die Bewohner unserer Straße schienen einen regelrechten Wettkampf gegeneinander angetreten zu haben, wer die exorbitanteste Weihnachtsdekoration aufzubieten hatte. In meinem Dämmerzustand sah ich bald alles doppelt, ein Inferno ans Lichtblitzen und -funken prasselte auf mich ein. Ich schlurfte weiter durch den Hagelsturm; unter meinen Moonboots knirschte es,
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