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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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es sie gäbe. An ihrer türkisfarbenen Seidenbluse steckte eine goldene Brosche, die respekteinflößend funkelte. Sie beugte sich zu mir herab: »Ich sage Isa morgen, dass du hier warst, ja? Sie übernachtet heute nach dem Reiten bei ihrem Vater. Du weißt ja, Wuschels Stall ist nach Lichtenrade verlegt worden.«
    Ich nickte, warf noch einen Blick auf Frau Hülsenbecks hochhackige, ebenfalls türkisfarbene Schuhe, dann trabte ich die zwei Treppen wieder zu uns hoch. Frau Hülsenbeck trug Dinge, die Wiebke »nie im Leben« anziehen würde, aber sie verstanden sich trotzdem ganz gut. Wiebke hatte immer Cordhosen und Leinenhemden, Jeanshosenröcke oder Nickipullover an. Dazu Sandalen, Clogs oder monströse Schaffellstiefel. Pfennigabsätze waren ihrer Meinung nach die »reinste Männererfindung«, die »die Herrschaften gefälligst selbst tragen« sollten, bevor sie anderen »so was zumuten«. Aber Frau Hülsenbeck und Wiebke trafen sich oft auf einen Tee und redeten über die Elternabende an unserer Schule, über die Hobbys ihrer Töchter und darüber, welche Musik-, Bastel- oder Malkurse wir zur Förderung unserer Kreativität belegen könnten.
    Frau Hülsenbeck war nach dem Krieg als Kind mit ihrer Familie aus Grünberg geflohen. In ihrem Esszimmer hingen mehrere große goldgerahmte Ölgemälde, die die Umgebung Grünbergs darstellten, in ihrem Schlafzimmer ein Aquarell mit dem »Kloster Paradies« in lieblicher Landschaft.
    Wenn Falk und ich sie hin und wieder belauschten, fiel uns auf, dass es zwei Themen gab, über die Wiebke und sie fast nie sprachen: Kleidung und Politik. Über so schwierige Dinge redete Wiebke lieber mit Anna, der Mutter von Fiona. Bei denen brauchte ich heute gar nicht erst zu klingeln, denn Fiona hatte ihren Batikkurs. Fiona und Anna wohnten, ebenfalls auf 250 Quadratmetern, einen Stock unter Hülsenbecks. Bei Anna konnte Wiebke sich stundenlang verkriechen. Manchmal zog Anna dann die blau-weißen Seidenvorhänge zu, die sie von den griechischen Inseln mitgebracht hatte, und man sah nur den Schein einer großen Altarkerze dahinter.
    Aber auch ich brauchte unser Haus nicht zu verlassen, wenn das Wochenende wieder einmal völlig verregnet, verhagelt oder einfach nur grau wie unser Fußabtreter war: Ich hockte dann mit meinen beiden besten beziehungsweise einzigen Freundinnen, mit Isa und Fiona, auf moosgrünen oder erdbraunen Matratzenlagern in einem unserer höhlenartigen Zimmer, die sich alle in der großen Höhle namens West-Berlin befanden. Dort zündeten wir auf Flaschenhälse gesteckte Kerzen und Räucherstäbchen an. Und wenn ich in den Hof schielte, sah ich den Hauser in seiner Hawaihöhle, und auch er verließ sie das ganze Wochenende nicht. Pechs blieben ebenfalls zu Haus e – vorm Fernseher. Herr Wiedemann vergrub sich in seinen Kunstbüchern, Herr Kanz schloss sich im Atelier ein, und aus Herrn Olks Souterraingrotte vernahm man ein unterirdisches Rumpeln, Schleifen und Zischen.
    Serife und Filiz saßen dicht nebeneinander im Treppenhaus und sprachen leise in ihrer geheimnisvollen Sprache miteinander, die sie berechtigt hätte, Mitglieder des Ü-Clubs zu werden. In einem Geheimversteck unter den Dielen in meinem Zimmer verwahrte ich eine Liste mit Ü-Worten, die die beiden mir einmal, etwas verwundert über mein Interesse, aufgeschrieben hatten. Es war nicht einfach gewesen, ihnen zu erklären, was ich wollte. Am Ende hatte ihr Vater sprachlich vermittelt. Mir schien, er hoffte, ich würde mich auch jenseits von meiner Sammlung besonders ü-lastiger Wörter für seine Muttersprache begeistern, aber ich war nicht kosmopolit, ich wollte nur Ü-Wörter sammeln. Güzel, otobüs, günlügüne! Çok üzüldüm! Türkisch gefiel mir sehr.
    Frau Koderitz schlurfte schwankend durch ihre langen dunklen Flure, manchmal mit einer Flasche in der Hand, und hörte Schlager. An ihren Gesten und den Bewegungen ihres Kopfes konnte man erkennen, dass sie mitsang. Doch man konnte natürlich nichts hören. Es war, als hätte man ihr, uns allen, den Ton abgestellt. Nur draußen blitzte, donnerte und hagelte es.
    Und jetzt sollte ich schlafen. Ich konnte aber, wie so oft, nicht schlafen. Wiebke fand es nicht gut, dass ich so lange wach blieb, sie meinte, ich müsse »fit« sein für die Schule. Aber das Wort »fit« gefiel mir gar nicht. Solange ich nicht am Ende des Schuljahres sitzenblieb, wollte ich lieber nachts herumgrübeln. Unseren Hof beobachten. Gucken, was der Hauser so machte. Hauptstädte
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